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Ein gemeinsamer Staat für Israelis und Palästinenser - eine machbare Alternative zum Status quo?

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Von: Aref Hajjaj

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Die israelische Siedlung „Shifot Rahil“ liegt in der besetzten Westbank. Die Vereinten Nationen sehen die jüdischen Siedlungen im Westjordanland als illegal an.
Die israelische Siedlung „Shifot Rahil“ liegt auf der besetzten Westbank. Die Vereinten Nationen sehen die jüdischen Siedlungen im Westjordanland als illegal an. © dpa

Mit einem größeren Willen zum Frieden und weniger Nationalismus auf beiden Seiten könnte es einen Ausweg aus dem Konflikt geben. Ein Gastbeitrag von Aref Hajjaj.

Im Kerngebiet Israels funktioniert zwar in einigen Regionen wie Jaffa oder Nazareth ein bescheidenes Maß an Koexistenz zwischen jüdischen und palästinensischen Israelis. In anderen Landesteilen dagegen leben die beiden Volksgruppen entweder voneinander getrennt oder im Zustand eines latenten Spannungsverhältnisses. Es erscheint daher utopisch anzunehmen, dass ein gemeinsamer Staat von Juden und Palästinensern im gesamten Gebiet von Historisch-Palästina eine machbare Alternative zum bestehenden Status quo wäre.

Gäbe es auf beiden Seiten mehr Friedenswille und weniger Nationalismus, könnte diese Vision dennoch Realität werden, wobei dann beide Volksgruppen die gleichen Rechte und Pflichten haben müssten. Der gemeinsame Staat besteht heute schon, allerdings in Form eines auf Trennung basierenden Staatswesens.

Natürlich gibt es andere Optionen für die Staatsbildung. Die Zweistaaten-Option, also die Gründung eines Staates in den besetzten Gebieten, wäre der richtige Ansatz, zumal darüber weltweiter Konsens besteht. Andererseits würde der neue Staat ohne die Räumung der jüdischen Siedlungen nicht aus einem zusammenhängenden Territorium bestehen. Weitere Erschwernisse betreffen die Lebensfähigkeit dieses Modells und die territoriale Trennung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen.

Über Trumps „Jahrhundertdeal“ kann man nur spekulieren 

Über die Eckpunkte eines weiteren Modells, des „Jahrhundertdeals“ unter der Patronage der USA, Saudi-Arabiens und Ägyptens, kann man nur spekulieren. Dieser scheint aber der Ausdruck einer aus der Not geschmiedeten Allianz gegen Iran denn ein solider Ansatz zur Lösung des Konflikts zu sein. Außerdem sieht dieses ominöse Modell die Einverleibung ägyptischer Territorien vor, was von Nach-Sisi-Regierungen kaum mitgetragen werden würde.

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Eine weitere Option wäre die Aufrechterhaltung des Status quo. Doch so wird man den ewigen Konflikt nicht lösen, den Anrainerstaaten keine Stabilität und Sicherheit garantieren und die sozioökonomischen Probleme in Israel und erst recht in „Palästina“ kaum lindern können.

Langfristig gibt es daher für Israelis und Palästinenser keine praktikablen Alternativen für den gemeinsamen Staat, indem die rechtsstaatlichen Prinzipien wie Gleichheit vor dem Gesetz, Gewaltenteilung, Wahrung der Menschenrechte und Meinungsfreiheit sowie intakte Wirtschaftsstrukturen und Mobilität herrschen.

Das bedarf allerdings eines kulturellen und strukturellen Umdenkens auf beiden Seiten, vor allem bei den mächtigen, stark nationalistisch geprägten politischen Eliten Israels. Dass auch im künftigen Staat extreme religiöse und politische Strömungen auf beiden Seiten weiter existieren werden, wäre verkraftbar, solange die verfassungsmäßig verankerten Hauptsäulen des Systems vom Geist liberaler Demokratie und nicht von einem jüdischen oder arabischen Überlegenheitsgefühl bestimmt sind.

Die Idee eines demokratischen binationalen Staates wurde schon in den 1970er Jahren, lange bevor die Zwei-Staaten-Option durch den exzessiven Siedlungsbau obsolet geworden ist, von links-liberalen Palästinensern und Israelis gemeinsam entworfen. Shir Hever, ein profunder Forscher der wirtschaftlichen Situation in den besetzten Gebieten, beobachtet neuerdings eine Tendenz zugunsten des Ein-Staaten-Modells vor allem unter den Palästinensern. Es gibt Befragungen, die tatsächlich belegen, dass 70 Prozent der Palästinenser weltweit den gemeinsamen Staat favorisieren.

Mehrheit der Israelis lehnt den binationalen Staat ab

Tatsache ist allerdings, dass die Mehrheit der Israelis den binationalen Staat ablehnt. Eine Akzeptanz dieser Option dürfte auch kurz- und mittelfristig kaum zu erreichen sein, da die herrschende Staatsidee auf dem Zionismus basiert, der wiederum einen „jüdischen“ Absolutheitsanspruch auf das gesamte Gebiet erhebt.

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Regierungschef Benjamin Netanjahu bedient sich dieser Rhetorik ständig. Das Hantieren mit dem „demografischen Faktor“ ist wiederum nicht frei vom rassistischen Denken. Auf palästinensischer Seite hat man sich infolge von Niederlagen, Perspektivlosigkeit und Ernüchterung von ähnlichem Absolutheitsdenken verabschiedet. Im Übrigen sollten die Begriffe „Heimschaffung“ aller Juden und „Rückkehrrecht“ der Palästinenser realistisch ausgelegt werden.

Es ist zu hoffen, dass in Israel künftig die Einsicht wächst, dass dem Staat Israel trotz seiner militärischen Stärke der Weg zum Frieden und zur Lösung sozio-ökonomischer Probleme auch unter der jüdischen Mehrheit nicht ausreichend geglückt ist. In diesem Defizit könnte die Chance für ein Umdenken oder auch für die Akzeptanz des binationalen Gedankens als zukunftweisendes, tragfähiges Konzept durch die Mehrheit Israels liegen.

Aref Hajjaj ist ein deutsch- palästinensischer Autor. Er schrieb unter anderem das Buch „Land ohne Hoffnung?“ 

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