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Die Menschlichkeit säuft ab

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Von: Katja Thorwarth

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"Absaufen" forderten die Rechten auf einer "Pegida"-Veranstaltung. Der Mob zeigt sich völlig enthemmt.
"Absaufen" forderten die Rechten auf einer "Pegida"-Veranstaltung. Der Mob zeigt sich völlig enthemmt. © dpa

„Absaufen“, schreit Pegida. Aber auch jenseits der rechten Extreme klingt es nicht viel besser. Wo bleibt der Mensch, um den es angeblich immer geht? Die Kolumne.

Die Flüchtlingsdebatte wird unterirdisch geführt, und das nicht erst, seit die „Zeit“ auf ihrer Seite drei der privaten Seenotrettung ein „Pro und Contra“ widmete. „Oder soll man es lassen?“, hatte sie keck formuliert und damit unfreiwillig jene Entmenschlichung aufgezeigt, mit der das Thema mittlerweile diskutiert wird.

Der ohne Not am Siedepunkt befindliche Diskurs ist völlig verrutscht, und zwar jenseits der berufsaktiven Rechtsextremen. Selbst das sogenannte Leitmedium „Zeit“ lässt den Menschen, um den es unter Humanisten ja gehen sollte, buchstäblich absaufen.

Das passt nur zu gut zu einer „Pegida“-Veranstaltung in Dresden, bei der Chefeinpeitscher Siegfried Däbritz die Stimmung gegen die Hilfsorganisation „Mission Lifeline“ befeuerte, was nicht wenige seiner Kameraden mit „Absaufen, Absaufen“ quittierten. Die Leute waren vor lauter Kopfkino scheinbar richtig aus dem Häuschen.

Im Umgang mit Flüchtlingen leben die Entscheidungsträger der politischen Mitte aber auch brav vor, dass es nicht um menschliche Schicksale geht, sondern um notwendige Übel, die ihnen die Umfragen verhageln. Empathie ist also völlig unangebracht, wenn junge Männer nach Afghanistan abgeschoben werden, die längst einen Ausbildungsvertrag in der Tasche hätten, wenn sie denn arbeiten dürften. Integration ist offenbar nicht erwünscht, zumindest nicht die Integration derjenigen, die die Rechten nicht im Land haben wollen.

Den rechten Mäulchen ein Zuckerl

Da kümmert sich dann die Große Koalition, wenn sie Abschiebungen nach Afghanistan als möglich erklärt, damit die Leute legal von der Schule abtransportiert und in den Flieger gesetzt werden dürfen.

„Wer sich integrieren will, der hat alle Chancen bei uns“, hatte Markus Söder 2017 in einem „Spiegel“-Interview geheuchelt. Arbeit sei der „schnellste Weg zur Integration“. Blöd nur, wenn man nicht arbeiten darf, einem im Gegenteil der Wunsch nach Integration als aktive Abschiebungsverhinderung ausgelegt wird.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge formuliert auf seiner Website, dass nicht arbeiten darf, wer sich noch im Asylverfahren befindet, vor allem aber jene nicht, die nur „geduldet“ sind. Die dürfen aus Gründen wie zum Beispiel „Krieg im Herkunftsland“ nicht abgeschoben werden. Was ein Jammer aber auch. Lässt man sie jedoch vor sich hin vegetieren, werden sie möglicherweise drogenabhängig und kriminell, dann ist die Nummer auch gebongt.

Parallelgesellschaft in Punkto Humanismus

„Wir können nicht alle aufnehmen“, hatte Andrea Nahles (SPD) kürzlich noch den rechten Mäulchen ein Zuckerl verabreicht, vermutlich wohl wissend, dass es darum noch nie gegangen ist. Der Politik scheint es vielmehr darum zu gehen, den Flüchtling so lange vom Individuum zu abstrahieren, bis außer einer beliebig instrumentalisierbaren politischen Verfügungsmasse nichts mehr übrig bleibt.

In solch einer Stimmung kann es dann schon mal passieren, dass Lebensrettung in großen Lettern in Frage gestellt wird. Und dass der Dresdner „Absaufen“-Chor, geduldet von der Polizei, seinem lynchbereiten Hass frönen kann.

Immerhin zeigt die deutsche Leitkultur in ihrer moralischen Ausprägung, was sie neben der Abschreckung in Sachen Menschenbild so alles drauf hat. Bleibt zu wünschen, dass die wenigen, die es überhaupt langfristig in dieses Land schaffen, sich an dieser Stelle nicht integrativ unterordnen, sondern in punkto Humanismus eine Parallelgesellschaft bilden.

Hinweis: Es handelte sich um die private Seenotrettung auf Seite 3 der „Zeit“.  Das wurde im Text ergänzt. 

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