Maximale Verunsicherung der Frauen

Das Prostituiertenschutzgesetz ist erst ein paar Monate gültig, muss aber schon nachgebessert werden. Denn es hilft kaum. Der Leitartikel.
Es war nicht gerade eine Meisterleistung der Legislative, das umstrittene Prostituiertenschutzgesetz, das seit einem halben Jahr in Kraft ist. Ein kühnes Versprechen, wie sein Name sagt: Schutz vor Gewalt und sexueller Ausbeutung. Schnelle Wunder hat niemand erwartet. Aber dass vielerorts bisher wenig bis nichts passiert ist, das ist selbst für seine Befürworter – gelinde gesagt – irritierend.
Ende Dezember läuft die Frist ab, innerhalb derer sich alle Sexarbeiterinnen, die Männer sind hier mitgemeint, gesundheitlich beraten lassen und ihre Tätigkeit anmelden müssen. Bordellbetreiber brauchen ein polizeiliches Führungszeugnis und müssen bei Kontrollen nachweisen, dass sie sich etwa an neue Schutz- und Hygienevorschriften halten – vom Notrufsystem bis hin zu getrennten Toiletten für Prostituierte und Freier.
Das Gesetz wurde im Juli 2016 beschlossen, anderthalb Jahre hatten Länder und Kommunen also Zeit, die Umsetzung zu regeln und zu organisieren. Zeit, die sie zumeist nicht genutzt haben.
Gesundheitsberatung? Fehlanzeige! Irgendwann im Frühjahr, heißt es in Berlin und nicht nur dort. Ordnungsämter landauf und landab zeigen sich überfordert oder unwillig, solange Ministerien in den Landeshauptstädten Antworten schuldig bleiben. Wer trägt eigentlich die Kosten für zusätzliche Mitarbeiter: Sozialpädagogen, Ärzte, Gesundheitsberater? Wer schult Verwaltungsangestellte für sensible Gespräche mit einer Klientel, deren Lebenswirklichkeit ihnen komplett fremd ist? Gibt es Dolmetscherinnen? Viele Armutsprostituierte aus Osteuropa sprechen kein Deutsch.
Der dilettantische Start ist symptomatisch dafür, wie schwer sich Politik und Verwaltung mit einer Realität tun, über die es vor allem Halbwissen, Stereotypen und Klischees gibt, aufgeladen mit moralischen Werturteilen. Zugleich bestätigt das Behördenversagen, was man nicht nur ahnen, sondern von Anfang an wissen konnte: Der Staat wird seinem Anspruch, im Interesse der Frauen zu handeln, nicht gerecht.
Dass das Gesetz Murks ist, das steht – aus anderen Gründen – auch für die Prohibitionistinnen um die Feministin Alice Schwarzer fest. In der langen Debatte vor Verabschiedung des Gesetzes trommelten sie vergeblich für ein völliges Verbot von käuflichem Sex. Für sie ist Prostitution immer inhuman und unfreiwillig. Frauen sind ausnahmslos Opfer, es gibt nur Schwarz und Weiß. Abgesehen davon, dass Prohibition noch nie funktioniert hat: Nicht alle Sexarbeiterinnen wollen gerettet werden. Viele Professionelle fordern mehr Rechte als Gewerbetreibende. Denn der Opferdiskurs verstärkt ihre Stigmatisierung.
Es bleibt eine drängende staatliche Aufgabe, die kriminellen Strukturen des Rotlichtmilieus aufzubrechen und Menschenhändlern und Zuhältern das Handwerk zu legen. Hätte der Gesetzgeber Hurenverbände, Streetworkerinnen und Sozialwissenschaftlerinnen nicht nur angehört, sondern auch auf sie gehört, dann wüsste er: Dies gelingt am ehesten, wenn er die Rechtsposition der Prostituierten und damit ihr Selbstbewusstsein stärkt. Derzeit zu beobachten ist jedoch das Gegenteil: eine maximale Verunsicherung der Frauen.
Droht mir ein Bußgeld, wenn ich ohne Anmeldung weiterarbeite? Werde ich künftig amtliche Post bekommen? An welche Adresse? Und was, wenn ein Schreiben in falsche Hände gerät? Riskiere ich das Sorgerecht für meine Kinder? Wie sicher sind meine Daten? Auf solche Fragen bekommen viele Frauen derzeit keine Antworten. Das allein schon ist skandalös. Aber es kommt noch schlimmer.
Kennerinnen der Szene sehen erste Indizien, dass das Gesetz kontraproduktiv wirkt. So gehen Sozialarbeiterinnen fest davon aus, dass die Angst vor einem Zwangsouting Frauen in die Illegalität treibt, in der der Job gefährlicher wird und sie für Hilfen unerreichbar werden. Huren, die in kleinen Terminwohnungen ihr Geschäft betreiben, beklagen, dass die neuen Auflagen für „Prostitutionsstätten“ die Betreiber von Großbordellen begünstigten, weshalb die ersten Kolleginnen schon aufgeben müssten. Bordellbetreiber wittern ihre Chance, ihre „Mieterinnen“ nun zusätzlich für Schlafzimmer, mithin doppelt, abkassieren zu können, weil Arbeits- und Privatbereich neuerdings getrennt sein müssen.
Das Gesetz als Murks zu bezeichnen, ist demnach eher eine Untertreibung. Damit es am Ende nicht mehr schadet als nützt, muss es schnell evaluiert und zumindest da nachgebessert werden, wo es Aussichten gibt, dass es seinem Namen gerecht wird. Das heißt: Sozialarbeit, Sozialarbeit, Sozialarbeit. Und Bildung.
Für eine klar definierte Zielgruppe: Frauen, die tatsächlich Hilfe suchen, Armutsprostituierte, die aussteigen würden, wenn sie denn eine Alternative hätten. Alphabetisierung, berufliche Qualifizierung, bezahlbarer Wohnraum. Pragmatisch und unideologisch. Das machte aus dem Gesetz kein Meisterstück. Aber es wäre – bei wohlwollender Betrachtung – ein Anfang.