Zeit für Wahrheiten

Der EU-Gipfel sollte die Menschen in der Ukraine nicht nur moralisch in deren Kampf gegen Russland unterstützen, sondern auch die Zukunfstperspektive für das Land verdeutlichen
Der EU-Gipfel in Kiew kann ein Erfolg werden. Dazu müssen die europäischen Politikerinnen und Politiker die Menschen in dem geschundenen Land und deren Regierung nicht nur wie geplant mit weiteren finanziellen und militärischen Mitteln für deren Verteidigungskampf gegen die russischen Invasoren unterstützen und mit ihrer Visite dem Regime des Autokraten Wladimir Putin ein starkes Signal des Bündnisses senden. Vielmehr sollten die Verantwortlichen der EU auch eine Zukunftsperspektive skizzieren, bei dem die Schritte des geplanten Beitritts des Landes in die Europäische Union präzisiert wird. Dafür ist es nötig, einige Wahrheiten auszusprechen.
Eine davon ist, dass Kiew den Status des Beitrittskandidaten nicht in zwei Jahren verlieren wird, wie es einige in Kiew möchten. Keiner weiß, wann der Krieg enden wird und in welchem Zustand die Ukraine dann sein wird. Unklar ist auch, welches Ergebnis mögliche Friedensverhandlungen haben werden.
Außerdem muss Kiew die EU-Beitrittskriterien erfüllen – nicht nur beim Thema Korruption, sondern auch bei den Ansprüchen bei der Rechtsstaatlichkeit und vielem mehr. Dies zu prüfen dauert eher Jahre, auch wenn die EU-Verantwortlichen diesen Prozess politisch wohlwollend begleiten, um nicht zu sagen beschleunigen. Brüssel muss auch Rücksicht nehmen auf andere Beitrittsverfahren von Kandidaten, die schon viel länger auf ihre EU-Mitgliedschaft warten – wie etwa die Staaten des Westbalkans. Die Türkei muss sich bereits seit 1999 gedulden.
Der Aufnahme der Ukraine müssen zudem alle anderen EU-Staaten zustimmen. Das wird ohne weiteres nicht geschehen. Es waren schon nicht alle EU-Mitglieder begeistert, als das osteuropäische Land im vergangenen Jahr den Status des Beitrittskandidaten zugesprochen bekam. Ein strittiger Punkt wird sicher sein, wie die landwirtschaftlich starke Ukraine in den Binnenmarkt der Union integriert werden soll, ohne dabei das bisherige Gleichgewicht allein in diesem Bereich nicht zu gefährden.
Über diese Schwierigkeiten kann und muss gesprochen werden. Das steht nicht im Widerspruch zu dem Ansinnen der EU-Verantwortlichen, die Menschen in der Ukraine mit dem Gipfel in Kiew vor allem moralisch zu unterstützten. Ukrainerinnen und Ukrainer haben derzeit sicher auch andere Probleme als sich mit den Kriterien des Beitrittsprozesses zu beschäftigen. Trotz allem sollte man sie nicht im Unklaren lassen, wie langwierig all das sein wird.
Viele werden auch zustimmen, wenn sie wissen, dass während dieses Prozesses beispielsweise die Korruption im Land bekämpft wird. Viel wichtiger als diese Details wird ohnehin sein, ob die westlichen Verbündeten Kiew im Krieg gegen die Invasoren tatsächlich mit allem beistehen, was nötig ist. Bericht S. 6