Zeit für eine Nationale Sicherheitsstrategie

Ein ganzheitliches Konzept muss mehr als nur die Bundeswehr berücksichtigen. Der Gastbeitrag.
Die äußere und die innere Sicherheit unseres Landes sind eng miteinander verwoben. Die scharfe Trennlinie, die einige immer noch erkennen wollen, ist längst von der Realität überholt worden. Das hat uns auch der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine klar vor Augen geführt.
Er hat zudem vielen Menschen verdeutlicht, dass unsere Sicherheit und Freiheit keine Selbstverständlichkeiten sind: Neben den klassischen Bedrohungen unseres Landes und seiner Werteordnung durch andere Staaten fordern seit einigen Jahren auch andere feindliche Kräfte die innere Sicherheit im Ganzen heraus – sei es durch Cyberattacken auf die kritische Infrastruktur, Desinformationskampagnen, Extremismus oder Terrorismus.
Außerdem sehen wir uns zunehmenden Herausforderungen wie Naturkatastrophen und Extremwettereignissen gegenüber. Auch irreguläre und instrumentalisierte Zuwanderung haben negative Auswirkungen auf unsere innere Sicherheit. Dies sind dringliche sicherheitspolitische Fragen, auf die wir gemeinsame außen- und innenpolitische Antworten geben müssen.
Dazu ist im 21. Jahrhundert ein neuer Ansatz der integrierten Sicherheit notwendig. Diesen formuliert die Bundesregierung in der Nationalen Sicherheitsstrategie. Oberste Priorität ist der Schutz und die Verteidigung unserer Demokratie. Deutschland wird künftig nur dann eine freie und offene Gesellschaft bleiben können, wenn unser Land im Inneren ausreichend stark, abwehr- und widerstandsfähig ist.
Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende ist daher die richtige Antwort zur richtigen Zeit für unsere Außen- und Sicherheitspolitik. Der Bund sollte jedoch darüber hinaus stärker als bislang auch in die zivile Verteidigung investieren. Es gilt, neben der Bundeswehr auch die Sicherheitsbehörden, die Zivil- und Katastrophenschutzbehörden zu stärken und die Wirtschaft, Wissenschaft, die Kommunen sowie die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mit einzubeziehen. Die ganzheitliche Betrachtung ist dringender als jemals zuvor, muss ressortübergreifend gedacht werden und bedarf folglich einer starken Koordinierung aus dem Bundeskanzleramt.
Wichtig dabei: der Bevölkerungsschutz. Eine Frage steht hier im Mittelpunkt: Wie können Staat, Wirtschaft und auch die Gesellschaft künftig besser auf Krisen und Katastrophen vorbereitet sein?
Eine bessere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen untereinander bei der Bewältigung von Katastrophen und Extremwetterereignissen ist das Gebot der Stunde. Entscheidend ist in erster Linie ein schnellstmöglicher Informationsfluss aller Beteiligten über die jeweilige Lage sowie die damit einhergehenden Bedarfe vor Ort.
Eine darüber hinausgehende Kompetenzverlagerung im Bereich des Katastrophenschutzes ist jedoch weder gesetzlich noch praktisch sinnvoll. Denn die Herausforderungen müssen dort bewältigt werden, wo sie auftreten: Die Verantwortlichen in den Kreisen und Kommunen kennen die Gefahrenpotenziale ihrer Regionen sowie die Fähigkeiten ihrer Einheiten eindeutig besser, als eine vom Bund einzurichtende Zentralstelle.
Bei länderübergreifenden Gefahrenlagen werden schon jetzt mit dem neu geschaffenen Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz betroffene Bundesländer und Regionen besser unterstützt – durch effiziente Zusammenarbeit in Form des kooperativen Föderalismus. Dieses Prinzip muss unser Leitgedanke sein: eine dauerhafte und institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.
Diese Zusammenarbeit sollte im Bereich der Cyber- und Informationssicherheit durch eine Zentralstellenfunktion des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik ergänzt werden. Hier verfügt der Bund mit seinen Institutionen über einen großen Erfahrungsschatz und die notwendigen Mittel.
Entscheidend ist, dass alle Ebenen im Ernstfall an einem Strang ziehen und aufeinander abgestimmt handeln. Ein effektiver Schutz vor Gefahren und Katastrophen für die Menschen in Deutschland darf niemals an Zuständigkeitsfragen oder mangelnder Kommunikation scheitern. Zusätzlich muss die Nationale Sicherheitsstrategie für ein neues Bewusstsein in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sorgen, dass es einer gemeinsamen Anstrengung zum Erhalt von Frieden, Sicherheit und unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft bedarf.
Die inneren und äußeren Bedrohungen unseres Landes sind real und machen keine Pause. Wir müssen ihnen auf unterschiedlichen Ebenen und konzertiert begegnen. Es ist Zeit für eine Nationale Sicherheitsstrategie, die sich dieser Herausforderungen annimmt.
Dirk Wiese ist SPD-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Fraktionsvorsitzender.