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Werdet Deutsche!

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Von: Pitt von Bebenburg

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Deutschland bedeutet Vielfalt. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Bundesrepublik dabei, ihr Staatsbürgerschaftsrecht so zu modernisieren, dass es dieser Realität gerecht wird.
Deutschland bedeutet Vielfalt. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Bundesrepublik dabei, ihr Staatsbürgerschaftsrecht so zu modernisieren, dass es dieser Realität gerecht wird. © Fabian Sommer/dpa

Wer sich einbürgern lässt, muss seine Wurzeln nicht verleugnen. Mehrstaatigkeit darf kein Hindernis sein. Deshalb ist die Ampelregierung auf dem richtigen Weg.

Deutschland modernisiert sein Einbürgerungsrecht, SPD und Grüne sind an der Regierung, und in Hessen stehen Landtagswahlen vor der Tür. Klingelt da etwas? Allerdings!

Im Jahr 1999 hat die rot-grüne Koalition das längst überholte Staatsbürgerschaftsrecht auf die Höhe der Zeit gebracht. Im hessischen Landtagswahlkampf weckte der CDU-Politiker Roland Koch mit einer unsäglichen Unterschriftenkampagne Ressentiments gegen Ausländerinnen und Ausländer und deren erleichterte Einbürgerung. Zwar kam Koch an die Macht, aber ein reformiertes Staatsbürgerschaftsrecht konnte er nicht verhindern.

Hoffentlich wiederholt sich an dieser Geschichte nur der Fortschritt im Einbürgerungsrecht – und nicht die freudige Erwartung von CDU-Chef Friedrich Merz, dass die Hessen-CDU im Wahljahr 2023 an Kochs Aktion anknüpfen könnte, die das Land zutiefst gespalten hat.

Deutschland bedeutet Vielfalt. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Bundesrepublik dabei, ihr Staatsbürgerschaftsrecht so zu modernisieren, dass es dieser Realität gerecht wird. Nun plant die Ampel-Regierung den nächsten Schritt. Sie will vernünftige Erleichterungen schaffen, damit die Einbürgerungsquote steigt. Bisher ist sie ziemlich dürftig, und das liegt nicht an der mangelnden Attraktivität eines deutschen Passes, sondern an viel zu hohen Hürden.

Die deutsche Staatsbürgerschaft sollte, so wurde es jahrzehntelang praktiziert, so schwer wie möglich zu erlangen sein. Die Abkehr davon gelang der rot-grünen Regierung, als sie das Abstammungsprinzip des „ius sanguinis“ zum Beginn des Jahres 2000 um das „ius soli“ ergänzte: Wer in Deutschland geboren wurde, ist seither Deutscher oder Deutsche.

Für Zugewanderte war bis zu dieser Reform ein rechtmäßiger Aufenthalt von 15 Jahren notwendig, um sich einbürgern lassen zu können. Rot-Grün senkte diese Frist auf acht Jahre. Nun soll eine Regeleinbürgerung bereits nach fünf Jahren in Deutschland möglich werden. Die kürzere Frist ist ein Symbol für eine Politik der Öffnung: Deutschland will, dass hier lebende Menschen auch alle Rechte aus der Staatsbürgerschaft wahrnehmen können.

Dabei geht es nicht zuletzt um das Wahlrecht. Es ist ein Missstand für eine Demokratie, wenn ein erheblicher Teil der Menschen, die hier leben, lieben, arbeiten und Steuern zahlen, nicht mitbestimmen kann.

Wichtig ist es, den Betroffenen eine entscheidende Sorge zu nehmen: Wer sich einbürgern lässt, muss seine Wurzeln nicht verleugnen oder kappen. Ausländer und Ausländerinnen, die sich für einen deutschen Pass entschließen, behalten ihre Bindungen an das Land ihrer Herkunft, ihrer Eltern und Großeltern. Es ist unwürdig, sie zu einer Eindeutigkeit zu zwingen, die es nicht geben kann. Niemand muss bei einer Fußball-WM die schwarz-rot-goldene Fahne hochhalten, um sich als Deutscher oder Deutsche zu beweisen. Es ist daher hoch symbolisch, wenn mit dem neuen Gesetz nun generell Mehrstaatigkeit hingenommen werden soll.

Auch mit ihren Erleichterungen für Angehörige der „Gastarbeiter“-Generation senden SPD, Grüne und FDP ein wichtiges Signal der Anerkennung aus. Diese Menschen, die oft aus bildungsfernen Schichten stammten und in Deutschland mit harter Arbeit für den wirtschaftlichen Aufschwung sorgten, erhielten keine Integrationsangebote. Es ist absurd, dass sie nach Jahrzehnten in Deutschland immer noch keine Staatsbürgerschaft erhalten können, nur weil sie einen Einbürgerungstest nicht bestehen können.

Wie bisher sollen nur diejenigen Ausländerinnen und Ausländer eingebürgert werden, die ihren Lebensunterhalt sichern können. Ausnahmen davon sind nötig und auch geplant, aber noch nicht im Detail bekannt. Dabei zählt hier das Kleingedruckte. Es darf nicht sein, dass Menschen von der Einbürgerung ausgeschlossen werden, die ohne eigene Schuld nur ein kleines Einkommen haben – etwa wenn sie krank und alt sind oder einen Job erledigen, der nicht gut genug entlohnt wird, um die Familie zu ernähren.

Heikel ist eine Regelung, die Menschen fernhalten soll, wenn sie mit rassistischen und antisemitischen Aktivitäten aufgefallen sind. Die Absicht ist nachvollziehbar, doch es fragt sich, wer das kontrollieren soll. Im Rechtsstaat entscheiden Gerichte, ob Personen gegen die gemeinsamen Grundlagen verstoßen haben. Dabei sollte es bleiben – auch im Einbürgerungsrecht.

Zudem fehlen Erleichterungen für Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Identität nachzuweisen, weil sie vor Jahren aus einem Land gekommen sind, in dem sie verfolgt wurden. Ihnen ist nicht zuzumuten, sich den Schikanen der Verfolgerstaaten auszuliefern, um die Papiere zu vervollständigen. Im Zweifel muss eine eidesstattliche Erklärung reichen.

Die Ampel-Regierung ist auf dem richtigen Weg. Doch ideologische Verbohrtheit gehört seit jeher zu den Debatten über Einbürgerung. Die Union sollte ihrer Verantwortung gerecht werden und sich sachlich mit dem neuen Entwurf befassen, statt nach 25 Jahren im Hessen-Wahlkampf gegen die Bundesministerin und SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser wieder zur Roland-Koch-Partei zu werden.

Dann kann sich das Land auf viele neue Mitbürgerinnen und Mitbürger freuen. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts enthält eine klare Botschaft an sie: „Werdet Deutsche!“

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