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Verhandlungen zwischen Berlin und Windhuk: Die Hauptpersonen fehlten

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Von: Johannes Dieterich

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Straßennamen in Namibias Hauptstadt. Foto: Florian Pütz/dpa
Straßennamen in Namibias Hauptstadt. © Florian Pütz/dpa

Die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen in Namibia droht durch kleinliche Verteilungskämpfe ruiniert zu werden. Kein Wunder, wenn man die Herero und Nama aus den Gesprächen ausschließt. Der Leitartikel.

Armes Coronavirus. Was auf den nicht vorhandenen Schultern des Winzlings alles abgeladen wird. Jetzt wird er auch noch dafür verantwortlich gemacht, dass der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht wie vorgesehen noch vor der Bundestagswahl nach Namibia reist. Dort sollte mit der gebotenen Gravitas die Einigung zelebriert werden, die Berlin und Windhuk inzwischen über den Umgang mit den vor mehr als hundert Jahren begangenen Gräueltaten der deutschen „Schutztruppe“ am Südzipfel Afrikas gefunden haben wollen. Die Einigung ist in einer „Politischen Erklärung“ festgehalten, die außer einem Schuldzugeständnis Berlins auch eine Summe für Wiedergutmachung enthält: Es sollen 1,1 Milliarden Euro sein.

Steinmeiers Reise noch vor den Wahlen wäre beiden Koalitionspartnern zugutegekommen: Sie hätten den historischen Meilenstein als Erfolg ihrer Moralität und ihres Verhandlungsgeschicks feiern können. Die Bundesregierung ist die erste Erbin einer ehemaligen Kolonialnation, die die damaligen Eroberungsfeldzüge und Strafexpeditionen ungeschminkt beim Namen nennt: Die Gräuel der deutschen Schutztruppe, denen in den Jahren 1904 bis 1908 rund 100 000 Menschen zum Opfer fielen, seien nichts anderes als „Völkermord“ gewesen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Genaugenommen muss sogar von zwei Völkermorden die Rede sein: dem an den Herero und jenem an den Nama. In Tansania und Kamerun verübten die deutschen Tropensoldaten noch weitere Massenmorde, die gleichermaßen zu Völkermorden erklärt werden könnten: Auch die britischen, französischen, belgischen und portugiesischen Kolonialmächte hatten im Verlauf ihrer Besatzung so manches Blutbad angerichtet. Berlins Bereitschaft, mit der Aufarbeitung der verabscheuungswürdigen Kolonialzeit einen Anfang zu machen: Chapeau.

Ob der Anfang geglückt ist, muss allerdings bezweifelt werden. Dass Steinmeier nicht nach Windhuk reisen konnte, hat nur vorgeschoben mit dem fiesen Virus zu tun: In Wahrheit kam die Reise nicht zustande, weil sich die Menschen in Namibia in der Bewertung der „Politischen Erklärung“ alles andere als einig sind. Gegenwärtig findet im namibischen Gedenkstädtchen Okahandja eine dreitägige Protestveranstaltung gegen die Vereinbarung statt: Als Emblem haben sich die Veranstaltenden aus den Völkern der Herero und Nama einen Schädelhaufen mit dem Schriftzug „Without us it will not be about us“ gegeben. Ohne uns kann es nicht für uns sein.

Tatsächlich war die im Mai nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Berlin und Windhuk getroffene Erklärung ohne Vertreter:innen eines Großteils der Hinterbliebenen der Opfer des Völkermords zustande gekommen. Namibias vom Mehrheitsvolk der Ovambo dominierte Regierung hatte sich ausbedungen, die Gespräche zu führen: Ihrer Delegation saß sogar ein „gemäßigter“ Herero vor – doch die radikalere Mehrheit der beiden Minderheitenvölker war nicht vertreten. Windhuk legte auch großen Wert darauf, dass deutsche Zahlungen zur Wiedergutmachung nicht den mehrheitlich der Opposition zugehörigen Herero und Nama zukommen würden: Sie sollen dem ganzen Land zukommen. Auch wenn das die Hinterbliebenen der tatsächlichen Opfer anders sahen.

Man sei unverschuldet in ein namibisches Minenfeld geraten, wird in Berlin geklagt: Nun droht die große historische Geste von kleinlichen Verteilungskämpfen ruiniert zu werden. Das hätte den Deutschen allerdings bereits am ersten Verhandlungstag klar sein müssen. Warum sie es zuließen, dass die Mehrheit der Herrero und Nama von den Gesprächen ausgeschlossen blieben, kann nur einen Grund haben: Es versprach, billiger zu werden. Eine große historische Geste sieht anders aus.

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