1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kommentare

Freie Fahrt ins Chaos – warum Wissings Verkehrspläne nicht zielführend sind

Erstellt:

Von: Joachim Wille

Kommentare

Ist die Autobahn voll, muss noch mehr davon her, findet der Bundesverkehrsminister.
Ist die Autobahn voll, muss noch mehr davon her, findet der Bundesverkehrsminister. © Uwe Lein/dpa

Wer Alternativen baut, wird Verkehrswende ernten. Das wird Kanzler Scholz Minister Wissing beibringen müssen.

Berlin – Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Nur leider hat sich das nicht herumgesprochen bis hinauf zum Ampel-Minister Volker Wissing, dem Mann, der über die Zukunftsfähigkeit unseres Verkehrswesens bestimmt.

Er hat eine Prognose für den Verkehr in Deutschland vorgelegt, der staugeplagten Autofahrenden genauso wie eingefleischten Klimaschützern den Schweiß auf die Stirn treiben muss. Bis Mitte des Jahrhunderts wird es danach im Gütersektor einen Zuwachs der Verkehrsleistung von 46 Prozent geben, also fast der Hälfte des jetzigen Volumens. Und im Personenverkehr rechnet das Haus Wissing noch mit einem Plus von 13 Prozent. Zahlen, die schockieren.

Und was will Wissing da tun? Radikale Verlagerung auf die Schiene? Dafür sorgen, dass Transporte und Fahrwege eingespart werden können? Kostenwahrheit im Verkehr herstellen? Nein, der Bundesverkehrsminister will vor allem neue Autobahnen, Autobahn-Erweiterungen auf bis zu zehn Spuren und andere Straßen bauen lassen. Und das aber subito, mit „Planungsbeschleunigung“.

Verkehrsminister Wissing will Autobahn-Ausbau beschleunigen und tritt Debatte los

Nur so lasse sich der Wohlstand in Deutschland sichern. „Dafür müssen wir jetzt etwas tun“, mahnte der oberste Verkehrslenker der Nation, der sich bei diesem Thema seit Wochen mit den Grünen fetzt, die den Turbo nicht für die Straße, sondern nur für die Bahn und die Sanierung des zunehmend maroden Straßennetzes wollen.

Hat Wissing den Termin der Prognose-Vorstellung bewusst auf den Tag des großen Klimastreiks der Fridays-for-Future-Bewegung gelegt? Das weiß man nicht. Auf jeden Fall aber hat er damit quasi Benzin ins Feuer der öffentlichen Debatte gekippt. Die Klima-Aktivisten hatten diesmal schließlich den Verkehrssektor als Hauptproblem mit der schlechtesten CO2-Bilanz aller Sektoren ins Visier genommen. Und sich dabei auf Wissing als Oberbremser eingeschossen – den Minister, der sich bisher weigerte, einen nachvollziehbaren Plan vorzulegen, wie er die ambitionierten, und vor allem auch verbindlichen, Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes für 2030 denn einzuhalten gedenkt.

Wissing hält bei Verkehrsplänen an alten Mustern fest

Danach müssen die CO2-Emissionen des Verkehrs bis in sieben Jahren auf 85 Millionen Tonnen im Jahr sinken, das heißt, um mehr als 40 Prozent. Doch statt in der Verkehrspolitik radikal umzusteuern, wie es angezeigt wäre, hält Wissing an den alten Mustern fest, die dazu geführt haben, dass die Emissionen seit dem Klimaschutz-Basisjahr 1990 praktisch nicht gesunken sind.

Wissing mag sich zugutehalten, dass er nicht für die Fridays-Aktivisten, sondern für das ganze Volk Politik machen muss. Und da hat er, schaut man nur die Zahlen an, einen Punkt. Denn allen Klimaschutz- und Verkehrswende-Forderungen zum Trotz ist die Motorisierung auch in den letzten Jahren weiter deutlich angestiegen, auf inzwischen über 48 Millionen Pkw und zwölf Millionen andere Fahrzeuge, bis hinauf zum 40-Tonnen-Gigaliner-Lkw.

Das Problem dabei ist eben nur: Das war kein automobiles Naturgesetz, die Politik hat diese Entwicklung nach Kräften gefördert – eben durch Straßen-Ausbau, Kappung des einst flächendeckenden Schienennetzes, zu geringe Ausstattung des ÖPNV sowie Vernachlässigung des Fahrrad- und Zu-Fuß-Verkehrs in den Städten und Ballungsgebieten.

Wer Alternativen baut, wird Verkehrswende ernten

Wie es anders geht, machen uns andere Länder und Großstädte dort vor. Die Schweiz zum Beispiel, die pro Bürger:in viel mehr in den Bahnverkehr investiert, die Niederlande, wo der Radverkehr einen viel höheren Stellenwert als bei uns hat, Kommunen wie Barcelona oder Kopenhagen, in denen die Verkehrswende erfolgreich umgesetzt wird. Aber auch hierzulande zeigen Vorreiter, dass die Menschen bereit sind umzusteigen, wenn das Angebot – etwa von reaktivierten Bahnlinien oder bequemen, sicheren Fahrradwegen – stimmt. Daraus kann man lernen: Wer Alternativen baut, wird Verkehrswende ernten.

Wissing und seine FDP allerdings scheinen diese Zusammenhänge bewusst auszublenden und die „Freie Fahrt für motorisierte Bürger“ asphaltieren zu wollen – auf Wunsch auch noch für Jahrzehnte im Benziner oder Diesel mit ineffizientem Ökosprit. Wofür Wissing sich sogar als Enfant Terrible auf EU-Ebene aufführt, indem er das praktisch beschlossene Verbrenner-Verbot von 2035 an mit seinem Veto zu torpedieren versucht.

Wissing bringt mit Verkehrsplänen Unruhe in die Politik – wo bleibt Machtwort von Scholz?

Ihm scheint auch völlig egal, dass er damit die Ampel-Statik ins Wackeln bringt und die Bundesrepublik auf der EU-Bühne blamiert. Den Anspruch, eine Fortschrittskoalition zu sein, die den rasenden Stillstand von 16 Jahren Merkel-Regierungen überwindet, tritt er in die Tonne.

Damit ist es Zeit, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) mal wieder ein Machtwort spricht. Nachdem er das schon mal bei den Grünen getan hat, weil sie AKW-Laufzeiten nicht verlängern wollten, ist nach Wissings Amokfahrt nun die FDP dran. Es müssen jetzt die Weichen umgestellt werden, um bei der Verkehrswende endlich in die Spur zu kommen. Das Thema auszusitzen, wird nicht funktionieren.

Auch interessant

Kommentare