Spiel ohne Skrupel

Die Mächtigen im Weltfußball sind dermaßen korrupt, dass wegschauen muss, wer sich nicht ekeln will. Dabei ist Hinschauen wichtiger denn je.
Gerade läuft vor dem Bundesstrafgericht im schweizerischen Bellinzona ein Prozess gegen die einst mächtigsten Männer im Weltfußball. Der greise Schweizer Sepp Blatter und der Franzose Michel Platini haben gedacht, sie könnten ihre Verbände Fifa und Uefa in Gutsherrenart steuern.
Gentlemen’s Agreement hier, Handschlagvertrag da – schon waren ein paar Millionen Franken im beiderseitigen Einvernehmen transferiert. Jahrzehntelang waren die da oben mit derlei Geschäften davongekommen, ehe eine kritische Öffentlichkeit, hartnäckig recherchierende Medien und unbeugsame Richter Angriffe auf die Komfortzone der Top-Funktionäre richteten.
Auch der deutsche Fußball ist in seinen Grundfesten erschüttert worden, als der „Spiegel“ einen hässlichen Schatten über das Sommermärchen legte. Weitere Nachforschungen lassen wenig Zweifel: Der Deutsche Fußball-Bund hat versucht, die Ausrichtung der WM 2006 käuflich zu erwerben. Alle, die wissen müssten, was geschah, schweigen. Oder sie sind längst tot.
Die Wahrheit ist aber auch: Selbst die schmutzigsten Sümpfe der Korruption haben das Interesse am großen Fußball nicht schwinden lassen. Ganz im Gegenteil: Fast könnte man den Eindruck gewinnen, die Menschen ergötzten sich an den dunklen Machenschaften. Sie maulen an den großen Verbänden herum wie sonntags am „Tatort“ und schalten doch immer wieder rein: zum Fremdschämen für Fortgeschrittene.
Keine Volte kann fies genug sein, um von der Regie nicht ins Programm aufgenommen zu werden, kein Darsteller zu hinterhältig, um nicht eine Hauptrolle einnehmen zu dürfen. Endlich war Blatter weg und Platini als Nachfolger verhindert, rückte Blatters Landsmann Gianni Infantino an und übernahm.
Aus der Fata Morgana einer Weltmeisterschaft im winzigen Wüstenemirat Katars wird noch in diesem Jahr Realität. Mögen sich engagierte Fangruppierungen, Schwulen- und Lesbenverbände und weitere Aktionsgruppen noch so angewidert abwenden wegen der miserablen Arbeitsbedingungen, der offenen Homophobie und des Widerstands selbst gegen minimale Frauenrechte – die Wüstenshow wird dennoch stattfinden. Ganz so, wie die Weltmeisterschaft 2018 in Russland stattgefunden hat, als die Welt noch nicht erkannte, nicht erkannt haben wollte, welch Dämon in Wladimir Putin steckt.
Im Dezember 2010 wurden die Weltmeisterschaften in Russland 2018 und Katar 2022 in einer Doppelabstimmung der Korruption, Ignoranz und Arroganz. durchgewunken. Fast alle der damals 22 Wahlmänner wurden später wegen unlauterer Machenschaften verwarnt, verwiesen oder bis lebenslang verurteilt. Ein Haufen Krimineller.
Wer hoffte, die Fifa würde sich danach häuten, sieht sich enttäuscht. Infantino führt den Weltverband noch mehr im Stile eines Sonnenkönigs, als Vorgänger Blatter das jemals gewagt hätte. Der glatzköpfige Funktionär scheut sich nicht, die Kunst der Anbiederung zu perfektionieren. Wer sich nicht ekeln will, muss wegschauen.Dabei ist hinschauen wichtiger denn je. Nächstes Jahr wird Infantino wieder kandidieren. Ohne erkennbare Gegenwehr. Seine Macht ist zementiert.
Die WM-Spiele, im Handstreich verschoben vom Sommer in den Winter, finden in pompösen Fußballpalästen statt, auf deren Baustellen erst Dutzende Arbeitsmigranten den Unfalltod sterben mussten, ehe internationaler Druck dieser Minderheit der zweieinhalb Millionen Lohnsklav:innen in Katar bessere Bedingungen bescherte. Der große Rest bleibt außen vor. Und Fifa-Chef Infantino aalt sich wohlig im gelebten Zynismus: „Wo immer wir hingehen in der Welt, stellen wir den Schutz der Menschenrechte in der Vordergrund.“
Als kürzlich Lisa Klaveness, die Präsidentin des norwegischen Verbands, beim großen Kongress der Fifa in Katar das Rednerpult erklomm und die Verdorbenheit des Systems enttarnte, wurde die mutige Frau mit Missachtung gestraft. Nachdem der ukrainische Verbandspräsident Andrij Pawelko in schusssicherer Weste mit einer eindringlichen Videobotschaft aus dem Kriegsgebiet nach Doha geschaltet worden war, brauchte es nicht lange, bis Infantino ungeniert zur Tagesordnung überging. Im Plenum saßen die Vertreter des russischen Verbands.
Die dreiste Inszenierung des Fußballs als moralische Instanz mag für viele unerträglich geworden sein. Die Wahrheit ist aber: Selbst die Enttarnung der Demutsbekundungen zu Beginn der Pandemie, die nichts anderes waren als eine Strategie von Top-Funktionären zur frühzeitigen Wiederaufnahme des Profifußballs im Geisterspielmodus, hat nicht zur Entfremdung geführt. Die Menschen rennen den Klubs die Bude ein und ölen das Business: Je mehr der Ball rollt, desto fetter verdienen Verbände, Berater, Manager, Klubs. Es geht ums Fressen, nicht um die Moral.