Raus aus der Nische

Die Leitlinien für eine feministische Politik kommen zur rechten Zeit. Als Gegenmodell zu einem Imperialismus, der jedes Mittel nutzt. Der Leitartikel.
Hätte eine feministische Außenpolitik den russischen Angriff gegen die Ukraine verhindern können? Diese Frage ist nur auf den ersten Blick eine hypothetische. Sie spricht zwei Auffassungen von Politik an, die gegensätzlicher nicht sein könnten, und verdeutlicht im Umkehrschluss, was feministische Politik kategorisch ablehnt.
Putins Krieg zielt auf Machterhalt und Expansion des russischen Präsidenten, und dafür setzt er frei nach Clausewitz Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen ein. Es sind fast ausschließlich Männer, die diesen imperialistischen Blick auf internationale Politik ausgeprägt und gepflegt haben, über Jahrhunderte. Man sieht, wohin das führt: zu Krieg, Zerstörung und Tod, auch im 21. Jahrhundert.
Es ist deswegen richtig, dass Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Außenministerin Annalena Baerbock gerade jetzt, dem Morden in der Ukraine zum Trotz, feministische Leitlinien für ihre Ressorts vorstellen. Wer da abschätzig fragt, ob Deutschland denn keine größeren Probleme habe, hat einen wesentlichen Mechanismus nicht begriffen: Politiker und Politikerinnen, die Frauen und Minderheiten in den Blick nehmen, die fragen, welche Bedarfe Frauen und Minderheiten haben und wie ihre jeweilige Lebenslage verbessert werden kann, kommen zu politischen Konzepten, die der gesamten Gesellschaft nützen, sie stabilisieren und erwiesenermaßen zum Wohlstand beitragen.
Abgesehen davon hat sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich zu einer wertebasierten Entwicklungs- und Außenpolitik verpflichtet. Diesem Auftrag tragen Schulze und Baerbock mit den feministischen Leitlinien Rechnung. Die besagen frei übersetzt nicht viel anderes, als dass Menschenrechte für alle Mitglieder einer Gesellschaft gelten und diese Maxime in der internationalen Zusammenarbeit beachtet und nach Möglichkeit durchgesetzt werden soll.
Das sind im Grunde Selbstverständlichkeiten oder sollten es zumindest sein. Damit sie aber als politische Maxime ausgesprochen werden, war es offenbar notwendig, dass erst einmal Frauen an die Spitze der international ausgerichteten Ministerien gelangen und diese auch noch SPD und Grünen angehören, jenen Parteien, die sich Gleichstellung offensiv auf die Fahnen geschrieben haben.
Der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt steht es in jedem Fall nicht schlecht zu Gesicht, wenn sie nach außen klarmacht, dass zu einer guten, erfolgreichen Politik mehr gehört, als Lieferverträge abzuschließen und Finanzhilfen zu geben.
Das Neue an den Leitlinien ist, dass sie die Gleichstellung von Frauen und Minderheiten aus einem Nischendasein holen und ins Zentrum rücken. Dann wird es nicht mehr heißen „Wir machen jetzt mal ein Projekt für Frauen“, sondern „Wir machen ein Projekt, und achten dabei auf Frauen“ – diese Akzentverschiebung ist richtig, weil sie zu einer neuen Normalität führen kann.
Weltweit sind Frauen- und Minderheitenrechte höchst unterschiedlich ausgeprägt, in der politischen Praxis wird die jeweilige Ausgangslage das Maß vorgeben, um den Leitlinien Geltung zu verschaffen. In der Entwicklungspolitik sind möglicherweise eher Ergebnisse im Sinne konkreter Verbesserungen erreichbar als in der Außenpolitik.
Saudi-Arabien beispielsweise wird sich von einer feministischen Außenpolitik Deutschlands kaum beeindrucken lassen. Wichtig ist aber, dass die Machthaber eben damit rechnen müssen, dass Frauenrechte angesprochen werden, wenn die deutsche Außenministerin zu Gast ist.