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Parallelen zwischen Chinas Taiwan-Politik und Putins Krieg: Was wird aus Taipeh?

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Von: Martin Benninghoff

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Die Skyline von Taiwans Hauptstadt Taipeh mit dem berühmten Wolkenkratzer 101.
Die Skyline von Taiwans Hauptstadt Taipeh mit dem berühmten Wolkenkratzer 101. © Imago

Droht nach dem Krieg Russlands ein chinesischer Angriff auf Taiwan? Peking müsste dafür einen hohen Preis zahlen. Der Leitartikel.

Zuletzt wollten selbst die Salomonen nichts mehr von Taiwan wissen. Zu verführerisch war die Aussicht für den kleinen Inselstaat, stattdessen mit der Volksrepublik China ins Geschäft zu kommen. Taiwan wird diesen Verlust verschmerzen, wenn, ja wenn es nicht immer einsamer um die Inselrepublik würde. Ende 2021 waren es nur noch 14 Mini-Staaten, die offizielle diplomatische Beziehungen mit Taipeh pflegten. Die Volksrepublik China ist der Auffassung, Taiwan sei ihr „untrennbarer Bestandteil“, obwohl es sich längst zu einer Demokratie gewandelt hat, während Chinas Staatspräsident Xi Jinping seine diktatorischen Vollmachten weiter ausbaut.

Das unheilvolle Wording, „untrennbarer Bestandteil“ eines benachbarten Landes zu sein, lässt in Taiwans Hauptstadt in diesen Tagen der russischen Aggression zu Recht die Alarmglocken schellen – und zwar lauter als sonst. Könnte China – dem Kreml in der Ukraine ähnlich – Fakten schaffen wollen und sich Taiwan militärisch einverleiben? Eine Antwort auf die Frage, so viel sei vorweggesagt, ist noch nicht möglich. Sie hängt wesentlich vom Ausgang des Krieges ab sowie dem wirtschaftlichen und politischen Preis für Russlands Autokraten Wladimir Putin. Zugespitzt formuliert: Die Ukraine kämpft indirekt für das knapp 8000 Kilometer entfernte Taiwan mit. Teil des Kampfes ist die erfolgreiche „Öffentlichkeitsarbeit“ des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der es meisterlich versteht, weite Teile der Staatenwelt auf die Nöte der Ukraine aufmerksam zu machen.

Ukraine-Krieg beunruhigt Taiwan: Taipeh wappnet sich weiter gegen Angriff Chinas

Doch Taiwan will es nicht erst so weit kommen lassen und wappnet sich weiter gegen einen chinesischen Angriff, zuletzt mit dem Kauf amerikanischer Raketentechnik. Zwar könnte Taipeh im Falle einer Aggression auf internationale Solidarität bauen und auf Wirtschaftssanktionen gegenüber China, doch allzu große Hoffnung auf militärischen Beistand macht sich niemand in Taipeh: Die USA setzen auf Abschreckung gegenüber China und stärken das Land militärisch und diplomatisch meist unterhalb offizieller Kanäle, sie würden aber nicht für Taipeh in den Krieg ziehen. Das macht Taiwan in Zeiten, da russische Truppen mordend durch die Ukraine ziehen, einsamer.

Chinas Staatspräsident Xi könnte daraus den fatalen Schluss ziehen, dass das Risiko, die Taiwan-Frage in seinem Sinne zu lösen, überschaubar ist. Zumal die Chancen für eine friedliche Wiedervereinigung mit jedem Jahr schwinden. Das ist eine Generationenfrage: Laut einer Studie von 2019 fühlen sich 83 Prozent der Jüngeren im Inselstaat als Taiwaner:innen, sie können mit einer Doppelidentität nichts anfangen. Einer Mehrheit ist die Volksrepublik fast so fremd wie den Menschen in Seoul das stalinistische Nordkorea.

Parallelen zwischen China und Russland: Xi bleibt nur eine Strategie der Zermürbung und Gewalt

Zu diesem demografischen Argument kommt ein individuelles hinzu, das man salopp als politische Torschlusspanik alternder Autokraten bezeichnen könnte. So wie der 69 Jahre alte russische Präsident Putin schielt auch der nur ein Jahr jüngere Xi auf den Eintrag ins Geschichtsbuch. Die Einverleibung Taiwans in eine großchinesische Volksrepublik gehört schon längere Zeit zu den Projekten des Staatspräsidenten, deren Vollendung er nicht auf die lange Bank – beziehungsweise von Generation zu Generation – schieben will, wie er einst erklärt hat. Obwohl er bei anderer Gelegenheit einer friedlichen Wiedervereinigung das Wort redete, bleibt unklar, wie sie erreicht werden könnte, solange Taiwan nicht will. Was Xi bleibt, ist eine Strategie der Zermürbung und Gewalt.

Nach der bisherigen Risikoabschätzung spricht allerdings einiges gegen einen Krieg. Xi will sein Land weiter zur Supermacht ausbauen – ein Ziel, das internationale Sanktionen wie gegen Russland gefährden würden. Andererseits zeigt Putin, dass die Theorien rationaler Akteur:innen nicht nur in der Ökonomie kritikwürdig sind, sondern zunehmend auch in der Politik.

Der krude Mystizismus des Kremlherrschers, seine nationalistische Großmannssucht und sein Heraufbeschwören eines Systemduells mit dem angeblich dekadenten Westen haben alle politische Vernunft, die es einst im Kreml gegeben hat, zunichtegemacht. Die Menschen in der Ukraine erhalten die Quittung, aber auch die russische Bevölkerung wird die Folgen auf Jahrzehnte spüren. Stand jetzt sollte man Xi nicht in diese Reihe stellen. Aber auch er wähnt sich in einem Systemduell mit westlichen Demokratien und bemüht großchinesische Mythen. Ihm sollte klarer denn je sein, dass dieser Weg ins Verderben führt. Das sollte ihm auf allen politischen und diplomatischen Wegen deutlich gemacht werden. (Martin Benninghoff)

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