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Die CSU führt Kulturkampf auf dem Niveau rechter US-Republikaner

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Von: Jakob Maurer

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„Wir sind gegen Wokeness und für die Liberalitas Bavariae“, sagt Markus Söder. Das soll wohl heißen: Die Freiheit aller, zu leben wie man möchte, tritt zurück hinter bayerischer Kultur und Tradition.
„Wir sind gegen Wokeness und für die Liberalitas Bavariae“, sagt Markus Söder. Das soll wohl heißen: Die Freiheit aller, zu leben wie man möchte, tritt zurück hinter bayerischer Kultur und Tradition. © Ray van Zeschau/Imago

Wokeness, das politische Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus, ist bei der CSU zum Feindbild aufgestiegen. Die Aschermittwochs-Rhetorik wird zum politischen Prinzip. Der Leitartikel.

Nein, Ron DeSantis war am Wochenende nicht zu Gast, als die CSU in Nürnberg Markus Söder zum Spitzenkandidaten kürte. Doch der Geist des rechten Kulturkampfs, mit dem der US-Gouverneur dem Kontrahenten Donald Trump bei den Republikanern den Rang ablaufen will, ist bei den Christsozialen jetzt endgültig angekommen.

In der vergangenen Woche hatte sich eine Gruppe um die CSU-Bundestagsabgeordneten Andreas Scheuer und Dorothea Bär mit dem US-Politiker in Florida getroffen, der bald in das Rennen um die republikanische Spitzenkandidatur für die US-Wahl im kommenden Jahr einsteigen dürfte. Am Samstag dann saß zumindest Bär beim Parteitag bereits wieder im Kreis der CSU-Führungsriege. Ihr USA-Besuch – wenn auch offenbar nicht mit der Parteispitze abgestimmt – ist als weiteres Indiz zu werten für eine Verschärfung, nicht nur in der Rhetorik.

Wokeness, das politische Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus, ist zum Feindbild aufgestiegen in der CSU. Bei den Wahlkampfreden von Parteichef Söder, in Passau beim politischen Aschermittwoch etwa oder nun am Samstag, war das unüberhörbar. „Es droht eine düstere Woke-Wolke unseren weiß-blauen Himmel zu verdunkeln“, sagte Söder Ende Februar und am Wochenende nun: „Wir sind gegen Wokeness und für die Liberalitas Bavariae.“

Zu was eine Versteifung auf einen solchen Kampfbegriff führen kann, zeigt sich beim möglichen neuen Vorbild DeSantis. In einer Rede brachte der Rechtspopulist es kürzlich fertig, binnen 20 Sekunden sechsmal das Wort „woke“ zu bellen. Am Ende gar mit der offenen Drohung: „Florida ist der Ort, wo ‚woke‘ stirbt.“

Der Rechts-außen-Politiker führt in Florida einen Kulturkampf gegen Frauen, gegen Homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen. Seine Gesetze bedrohen Minderheiten und führen dazu, dass Schulbücher zensiert werden.

Rechtskonservative Kampfbegriffe im Wahlkampf auszuposaunen, ist das eine. Dass die CSU diese „Anti-Wokeness“ nun aber in die Partei-DNA einschreibt, ist ein gefährlicher Kurs. Das neue Grundsatzprogramm mit dem Titel „Für ein neues Miteinander“ legt die Basis für kommende Wahlkämpfe. Es ist der neue Kompass – das, wofür die CSU in diesem Jahrzehnt steht.

Dazu zählt ein ausgeweiteter Extremismusbegriff. Neben rechtem, linkem und religiös-fanatischem Extremismus, den das CSU-Programm zusammenrührt, wird einen Satz später auch der „linke Kulturkampf in Form von Identitätspolitik, Wokeness und Cancel Culture“ dazugezählt.

Diese undifferenzierte Aneinanderreihung – nur durch einen Punkt getrennt – relativiert zum einen den Rechtsextremismus, der in Deutschland in Form von Terroranschlägen wie in Hanau oder Halle tötet oder durch Umsturzpläne wie aus der „Reichsbürger“-Szene die demokratische Ordnung bedroht. Zum anderen lässt die Gleichsetzung den Schluss zu, das der Einsatz für den Schutz von Minderheiten ein Fall für den Verfassungsschutz werden könnte.

Die Aschermittwochs-Rhetorik der CSU, mit der etwa auch fürs Klima Aktive als „Öko-Terroristen“ gebrandmarkt werden, wird so zum politischen Prinzip. Verhältnisse wie in Florida scheinen da nicht mehr weit. Oder die Wortwahl der AfD.

Hier verliert die CSU, die doch nach eigener Definition für eine „auf christlichen Werten basierende, bürgerlich-konservative, freiheitliche Haltung“ steht, einmal mehr das Maß. Die harsche Positionierung in der Migrationspolitik, mit der man 2018 versuchte, die Wählerwanderung zur AfD zu unterbinden, war bereits Zündeln mit Kalkül.

Nun setzt man erneut auf Spaltung – allen Beteuerungen für ein „neues Miteinander“ zum Trotz. Den Keil in der Gesellschaft setzt die CSU an, indem sie Mehrheit und Minderheit trennt. Wokeness und Identitätspolitik wird als rein ideologischer Kampf für Einzelinteressen diffamiert. Das verkennt aber, dass sich Initiativen wie Black-Lives-Matter, gendergerechte Sprache oder die Me-too-Bewegung sehr wohl für ein breiteres Allgemeinwohl einsetzen.

Die „Anti-Wokeness“ erscheint der Partei aber als perfekte Chance, gefühlte Ungleichbehandlungen auszunutzen. Viele politische Themen sind inzwischen sehr kompliziert geworden. Eine emotionale Debatte über einen schwammig verwendeten Begriff kommt da gerade recht, da man nicht viel erklären muss. Das fügt sich ein in ein allgemeines Schüren von Angst, dass die Ampel abgehoben agiere und die Nöte der breiten Bevölkerung außer Acht lasse.

Es ist eine zutiefst populistische Strategie, die kurzfristig Prozentpunkte für die Wahl generieren dürfte. Doch sie blendet aus, dass Transformation notwendig ist. Aufgrund von Klimakrise und Energiewende. Und eben auch in einer zunehmend diversen deutschen Gesellschaft, die marginalisierten Perspektiven Raum geben muss.

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