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Letzte Hoffnungen fürs Klima

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Von: Joachim Wille

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Mehr Hitzewellen, mehr Überschwemmungen, Meeresspiegelerhöhung, verringerte Nahrungsmittelsicherheit, Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Für viele der acht Milliarden Menschen auf der Welt sind die Auswirkungen der Klimaerwärmung längst Realität.
Mehr Hitzewellen, mehr Überschwemmungen, Meeresspiegelerhöhung, verringerte Nahrungsmittelsicherheit, Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Für viele der acht Milliarden Menschen auf der Welt sind die Auswirkungen der Klimaerwärmung längst Realität. © Zahid Hussain/dpa

Noch ist es nicht zu spät für den Klimaschutz. Doch das 1,5-Grad-Ziel ist nur erreichbar mit radikalen Schritten. Der Leitartikel.

Schon 33, und kein bisschen weise? Über drei Jahrzehnte ist es her, dass der Weltklimarat IPCC seinen ersten „Sachstandsbericht“ veröffentlichte. Schon 1990 war klar, dass die Staaten der Welt gemeinsam eine gefährliche Störung des Klimasystems riskieren, wenn sie den Treibhausgas-Ausstoß nicht radikal absenken. Mehr Hitzewellen, mehr Überschwemmungen, Meeresspiegelerhöhung, verringerte Nahrungsmittelsicherheit, Ausbreitung von Infektionskrankheiten – ein perfekter Sturm angesichts einer perspektivisch auf zehn Milliarden Menschen anwachsenden Weltbevölkerung.

Immerhin erfolgte damals eine fast prompte Reaktion. Nur zwei Jahre später beschlossen die Regierungen der Welt auf dem UN-Erdgipfel in Rio die Klimarahmenkonvention, die zum Ziel hat, diese gefährliche Störung zu verhindern. Doch gut drei Jahrzehnte später könnte die Ernüchterung kaum größer sein. Die Welt ist kurz davor, die Schwelle dazu zu überschreiten.

Der IPCC hat nun den Wissensstand zu den Gefahren und den Chancen der Schadensbegrenzung aus den letzten Jahren zusammengefasst. Die Warnungen sind erneut dramatisch, und das ist kein Wunder.

Die 1,5-Grad-Grenze, die im Pariser Klimavertrag von 2015 als eine Art Sicherheitslimit beschworen wurde, ist bereits in Sichtweite. Sie könnte nach aktuellen Forschungen wegen des erwärmenden El Nino-Effekts im Pazifik in den nächsten Jahren bereits zeitweise erreicht werden und dürfte spätestens im Lauf des nächsten Jahrzehnts dauerhaft gerissen werden.

Dagegen könnte auch die beste Klimapolitik nichts mehr ausrichten. Sie kann bestenfalls dafür sorgen, dass die globale Erwärmung endlich schnell vom Pfad einer Verdoppelung dieses Wertes bis 2100 wegkommt. Tatsächlich steuert die Welt derzeit noch immer auf eine Fast-Drei-Grad-Erwärmung zu. So, wie es derzeit aussieht, können die heutigen und zukünftigen Generationen froh sein, wenn wenigstens das Zwei-Grad-Ziel hält.

Der neue Report macht deutlich, dass bereits fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Regionen lebt, die von den Folgen der Klimakrise stark beeinflusst werden, wie Dürren, Überschwemmungen und anderer Ereignisse, die zu akuter Wasser- und Nahrungsmittelknappheit führen können und damit dem Verlust von Lebensgrundlagen.

Es handelt sich vor allem um Entwicklungsländer im globalen Süden, die kaum Mittel haben, um diese Dauerkrisen abzufedern. Aktuell wird das illustriert durch die verheerenden Auswirkungen von Zyklon Freddy im südlichen Afrika, des längsten jemals aufgezeichneten Wirbelsturms. Die Wahrnehmung vieler Menschen im reichen Norden, und damit auch vieler Entscheider:innen in Politik und Wirtschaft, wonach die auch hier an stärkeren Extremwetter-Ausschlägen spürbare Erwärmung doch tolerabel und handhabbar ist, trügt also gewaltig.

Die Zeit umzusteuern und noch größere Schäden, auch in den reichen Staaten des Nordens, zu verhindern, ist äußerst knapp. Die gute Nachricht des IPCC lautet: Eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad bis 2100 ist immer noch möglich, auch wenn ein zeitweises Überschießen der Temperatur über diese Schwelle toleriert werden muss.

Der Rat koppelt das mit zwei weiteren positiven Botschaften. Erstens, dass die dafür nötigen Technologien nicht erst erfunden werden müssen, sondern bereits verfügbar sind. Und zweitens, dass der Umstieg von den fossilen auf erneuerbare Energien automatisch auch die nachhaltige Entwicklung auf der Welt fördert. Zum Beispiel einen Schub für die Gesundheit der Bevölkerung in Entwicklungsländern bringt, die vor allem in Städten in schadstoffbelasteter Luft lebt.

Soweit, so gut. Das Problem ist aber: Dieses Mutmach-Mantra sendet der Weltklimarat nun schon seit Jahren aus, ohne dass es die Entscheider:innen wirklich beeindruckt. So hält der IPCC es für nötig, den globalen CO2-Ausstoß bis 2030 zu halbieren, um auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Doch die Trends sind andere.

Die energiebedingten Emissionen haben 2022 einen neuen Höchststand erreicht. Die Staaten der Welt haben die Corona-Delle 2020/21 und die viele Milliarden Dollar schweren Hilfsprogramme nicht wie erhofft genutzt, um mit einem Grünen-Energie-Schub aus der Krise zu kommen, sondern die Nutzung von Kohle, Öl und Gas gestützt.

Und auch die Reaktion auf die durch Putins Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise läuft bisher nach diesem Muster. Blauäugig zu glauben, dass in den sieben Jahren bis 2030 weltweit die radikale Kehrtwende erfolgt, die der IPCC für nötig hält, zumal der größte globale Einheizer, China, die Kohlenutzung weiter kräftig pusht.

Derzeit liegt die einzige Hoffnung darin, dass die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, und der größte Binnenmarkt, die EU, mit ihren ambitionierte Klimaprogrammen vorangehen – dem „Anti-Inflation-Act“ und dem „Green Deal“. Und darin, dass sie den Rest der Welt mitziehen, weil ihr Vorbild eines grünen Aufschwungs überzeugt.

Auch IPCC-Chef Hoesung Lee dürfte das so sehen. Er sagte: „Wir leben in einer vielfältigen Welt, in der jeder unterschiedliche Verantwortlichkeiten und unterschiedliche Möglichkeiten hat, Veränderungen herbeizuführen. Einige können viel tun, während andere Unterstützung benötigen, um den Wandel zu bewältigen.“

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