Klüngel um den Regenwald im Kongo

Es droht ein Ausverkauf des Dschungels, was gleichbedeutend wäre mit Landraub, Vertreibung und Elend. Der Gastbeitrag von Remy Zahiga, Jennifer Morgan und Martin Kaiser.
Unter den Vorzeichen einer Umweltkatastrophe von bisher unerreichtem Ausmaß trafen sich die EU-Botschafter in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) Anfang des Monats anlässlich einer Luxuskreuzfahrt, zu der die Umweltministerin des Landes, Ève Bazaiba, geladen hatte. Viele der Diplomaten vertreten Geberländer der Central African Forest Initiative (Cafi), die sich in der Endphase der Verhandlungen über ein auf zehn Jahre angelegtes Förderprogramm zum Waldschutz im Umfang von geschätzt einer Milliarde Dollar befindet.
Die Ministerin verfolgte mit der Einladung zur Flussfahrt eines ihrer wichtigsten Ziele: Sie möchte die Aufhebung des 2002 verhängten Verbots der Vergabe neuer Forstkonzessionen erwirken. Die Aufhebung des Verbots wurde bereits im Juli vom Ministerrat unter dem Vorsitz von Präsident Félix Tshisekedi abgesegnet. Das Durchführungsdekret muss noch unterzeichnet werden.
Ministerin Bazaiba reagierte auf ein Schreiben lokaler und internationaler Umwelt- und Menschenrechtsgruppen mit der Aussage, es gäbe für sie nichts von Nichtregierungsorganisationen (NGO) zu lernen. Die Kritik an der Aufhebung des Moratoriums bezeichnete sie als „mehr als dreist im 21. Jahrhundert“. Ihr Ministerium bezeichnet Kritikerinnen und Kritiker als „Leistungsempfänger von Imperialisten“.
Durch die Aufhebung des Moratoriums könnten rund 70 Millionen Hektar zur Abholzung freigegeben werden – eine Fläche, die etwa der Größe Frankreichs entspricht. Für Millionen von Menschen, denen der Regenwald eine Lebensgrundlage bietet, darunter auch indigene Völker, ist der Ausverkauf des Waldes an multinationale Unternehmen gleichbedeutend mit Landraub, Vertreibung und Elend.
Die EU-Diplomaten, die die Ministerin hofiert, sollten sie daran erinnern, dass unklar ist, wer die multinationalen Unternehmen sind, die angeblich Interesse an der Abholzung haben. Beinahe ein halbes Jahr nach Beginn einer EU-finanzierten rechtlichen Überprüfung der Forstkonzessionen berichtete der leitende Prüfer, sein Team habe immer noch keine Liste der Konzessionen aufstellen können. Er habe bisher keine „sogenannte“ Liste gesehen, und die vorliegenden Informationen seien „sehr unvollständig“.
Bazaiba hat das Verfahren verzögert, indem sie den Einsatzbefehl an das zuständige Team erst zwei Monate nach einer Intervention durch den Botschafter der EU unterzeichnet hat. Über 40 kongolesische und internationale NGOs warten immer noch auf eine Antwort auf ihr Schreiben vom September, in dem sie die Geberländer vor der drohenden Katastrophe warnen.
Damit erklären die Unterzeichnenden unter anderem, dass die Aufhebung des Abholzungsmoratoriums in der Republik Kongo den Beschlüssen der Biodiversitätskonferenz in Kunming (COP15) und der Klimakonferenz in Glasgow (COP26) den letzten Rest an Glaubwürdigkeit rauben würde. Der Regenwald im Kongobecken ist Lebensraum von über 600 Baum- und 10 000 Tierarten. Seine Vegetation speichert etwa 30 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Das entspricht etwa der Menge an CO2-Emissionen, die Menschen im Laufe von vier Jahren weltweit verursachen.
In den vergangenen Jahren hat ein Minister nach dem anderen gegen das Moratorium verstoßen. Bazaibas Amtsvorgänger Claude Nyamugabo wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Kongo gerichtlich beklagt, chinesischen Scheinfirmen widerrechtlich Forstkonzessionen im Umfang von zwei Millionen Hektar erteilt zu haben.
Das mit Abstand absurdeste Beispiel dafür, was die Aufhebung des Moratoriums bedeuten würde, ist jedoch die Vergabe von sechs Naturschutzkonzessionen an die Firma Tradelink im vergangenen Jahr. Dies umfasst eine Fläche, die halb so groß ist wie Belgien. Das Ministerium äußert sich nicht über die wahrscheinlich größte Gebietsabtretung an belgische Interessen seit Erreichen der nationalen Unabhängigkeit.
Über ein Jahr nach Erteilung der Tradelink-Konzessionen – und wie zufällig zwei Wochen vor der UN-Klimakonferenz COP26 – ordnete Präsident Tshisekedi schließlich die Aussetzung dieser sowie aller weiteren „fragwürdigen“ Forstkonzessionen an. So begrüßenswert – wenn auch sehr spät – dieser Schritt ist, hat es doch den Anschein, dass das plötzliche Interesse an einer guten „Wald-Governance“ lediglich dazu dienen soll, die Geberländer davon zu überzeugen, dass das Moratorium nun sicher ad acta gelegt werden kann.
Sind die Geberländer im Begriff, grünes Licht für die Aufhebung des Moratoriums zu geben? Finanzieren die EU-Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen Freifahrtschein für multinationale Unternehmen aus der Europäischen Union und China? Die Wochenend-Flusskreuzfahrer müssen sich erklären - und das öffentlich.
Remy Zahiga ist ein kongolesischer Klimaaktivist.
Jennifer Morgan ist Geschäftsführerin von Greenpeace International.
Martin Kaiser ist Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland.