Klimaschutz in der EU: Ins Wanken geraten

In der EU läuft ein beinharter Kampf um den Klimaschutz und die richtigen Instrumente dafür. Es braucht jetzt eine Politik, die Verantwortung großschreibt. Der Leitartikel.
In einer idealen Welt bräuchte es das alles nicht. Kein „Netto-Null-Industriegesetz“, keine „Gebäudeeffizienz-Richtlinie“, kein „Verbrennerverbot“. In einer idealen Welt hätten die Staaten der EU – und am besten der ganzen Welt – bereits vor drei Jahrzehnten einen CO2-Preis festgelegt, der den Schäden entspricht, die der Ausstoß dieses Treibhausgases verursacht – für Gesundheit, Wirtschaft, Umwelt, Infrastruktur. Diese werden inzwischen auf immerhin bis zu 700 Euro pro Tonne CO2 berechnet.
Doch das Postulat, dass „die Preise die ökologische Wahrheit sagen müssen“ (von Weizsäcker), wird seit langem sträflich missachtet. Und so läuft in der EU nun ein beinharter interner Kampf um den Klimaschutz und die richtigen Instrumente dafür. Schließlich bleibt nur noch ein gutes Vierteljahrhundert, um den CO2-Ausstoß auf null herunterzufahren. Das legt der „Green Deal“ der EU fest, um die Pariser Klimaziele halten zu können.
Der „Net Zero Industry Act“, den die Brüsseler Kommission jetzt vorgestellt hat, ist dabei noch am wenigsten umstritten. Er sieht vor: Die EU soll bis 2030 einen wachsenden Anteil der für ihre Klimaziele benötigten Schlüsseltechnologien selbst herstellen und nicht mehr aus anderen Ländern wie China importieren müssen. Den Löwenanteil der Windkraftanlagen und Batterien sowie der Wärmepumpen und einen Teil der Solarpaneele und genug Elektrolyseure, um die Hälfte des benötigten grünen Wasserstoffs zu produzieren, sollen dann aus heimischer Produktion kommen. Dafür will die EU großzügig Subventionen anbieten, privates Kapital mobilisieren und Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Das Industriegesetz ist überfällig. Europa und gerade auch seine größte Volkswirtschaft Deutschland haben sich bei den grünen Technologien abhängen lassen, vor allem von China, das etwa den Weltmarkt für Solarzellen dominiert und das auch in der Batterietechnologie anstrebt. Brüssel versucht, hier Boden wettzumachen, und das ist gut so. Peinlich allerdings, dass von der Leyens Truppe hier erst richtig aktiv wurde, nachdem die USA unter Biden ein gigantisches Ökoförderpaket aufgelegt hatten, den „Inflation Reduction Act“ (IRA).
Das „Zero“-Gesetz kommt, falls es halbwegs unbeschadet durch die Mühlen der EU-Gesetzgebung läuft, zwar spät. Doch schon das Signal, dass die EU den Technologie-Hauptkonkurrenten USA und China etwas entgegensetzen will, ist Gold wert. Es geht schließlich um hohe Milliardeninvestitionen, die wegen Bidens IRA und ähnlicher Förderprogramme in Kanada nach Nordamerika abzuwandern drohten.
Weitaus heftigere Auseinandersetzungen in der EU gibt es um die weiteren Komponenten, die den „Green Deal“ umsetzen sollen, darunter vor allem die Ausweitung und Verschärfung des Emissionshandels, die Vorschriften zu Gebäudesanierung und das Verbot für neue Verbrennerautos nach 2035. Verwundern muss einen das nicht, eigentlich. Es sind alles Maßnahmen, um im Klimaschutz noch in die Paris-Spur zu kommen, nachdem Brüssel und die Regierungen der EU-Länder das Thema so lange stiefmütterlich behandelten. Zu Deutsch: dem Druck der fossilen Industrien, von Auto über Chemie bis Kohle/Erdgas/Erdöl, sowie strukturkonservativer Wirtschaftsverbände nachgegeben haben. Der Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft muss nun so schnell geschehen, dass die Konflikte darum eskalieren.
Wie hart die Auseinandersetzungen sind, konnte man in dieser Woche im EU-Parlament besichtigen, als es dort um die Pläne der Kommission ging, die vielen alten Wohnungen und Häuser in Europa klimafit zu machen, die noch Energie- und CO2-Schleudern sind. Vor allem Konservative und Liberale wetterten gegen „Überregulierung“, von einem „Anschlag auf Omas Häuschen“ war die Rede. Am Ende beschloss das Parlament zwar sogar noch Verschärfungen der Anforderungen, die die Kommission formuliert hatte. Doch dass das in den nun anstehenden Verhandlungen mit den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten Bestand haben wird, die deutlich geringere Sanierungspflichten wollen, ist unwahrscheinlich. Dabei ist der Gebäudesektor zentral, um die Klimaziele zu erreichen, hier werden 40 Prozent der Energie verbraucht. Eine ambitionierter Sanierungsfahrplan ist nötig, und zwar mit hohen Zuschüssen.
Das wäre machbar. Das Problem ist aber: In der EU-Klimapolitik gilt neuerdings nichts mehr als sicher, seitdem ausgerechnet der „Vorreiter“ Deutschland sich in Brüssel als liberal gesteuertes Enfant terrible aufführt. FDP-Verkehrsminister Wissing hat das in Brüssel längst ausverhandelte Verbrennerverbot gekippt und damit mehr ins Rutschen gebracht als nur die automobile Zukunft. Insider befürchten, dass andere EU-Länder das zum Anlass nehmen, ebenfalls auf Egotrip zu gehen, nicht nur beim Gebäudegesetz, sondern auch bei der ebenfalls ausverhandelten Reform des Emissionshandels. Das heißt, der ganze „Grüne Deal“ wackelt. Es bleibt nur eins zu hoffen: Verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker in Kommission, Europaparlament und den Regierungen müssen es schaffen, dass ihnen dieses Zukunftsprojekt nicht um die Ohren fliegt.