Ukraine-Krieg: Die Bundesregierung geht richtige Schritte – muss aber wesentlich mehr tun
Kanzler Scholz will zu Recht einen Marshall-Plan für die Ukraine. Lässt aber zu viele Fragen unbeantwortet. Der Leitartikel.
Berlin – Leider ist es Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Rede wieder nicht gelungen, die von ihm nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ausgerufene Zeitenwende zu erklären und mit Leben zu füllen. Er sagte zu wenig dazu, wie er und die von ihm geführte Bundesregierung die Herausforderungen des Ukraine-Krieges bewältigen und mit welchen Ideen er und die Ampelkoalition dazu beitragen wollen, die zahlreichen Probleme der anstehenden Gipfel von EU, G7 und Nato zu lösen.
Es hört sich zwar gut an den Partnern im Osten Europas zu versprechen, Deutschland werde „jeden Quadratmeter des Bündnisgebiets verteidigen“. Doch das ist selbstverständlich, weil es das Nato-Bündnis genau so vorsieht.
Immerhin hat Scholz bekräftigt, dass der Aufbau der Ukraine eine Generationenaufgabe und dafür ein Marshall-Plan nötig sei. Neu ist das zwar nicht, doch wird deutlich, dass Deutschland und die anderen Verbündeten des überfallenen Landes über den Krieg hinaus an dessen Seite stehen – wie auch der angekündigte EU-Beitrittsstatus für das geschundene Land zeigt.

Ukraine-Krieg: Deutschland spürt Auswirkungen auf mehreren Ebenen
Dennoch reicht das bisher geleistete nicht, obwohl es sicher mehr ist als viele glauben. Deutschland liefert den Ukrainerinnen und Ukrainern nicht nur Waffen, damit sie sich verteidigen können. Dazu kommen die Hilfen für Geflüchtete und die ukrainische Wirtschaft oder auch die Sanktionen gegen Russland. Außerdem versucht die Ampelkoalition, die Belastungen des Krieges für die Menschen hierzulande zu mildern oder beteiligt sich daran, Getreide aus der Ukraine zu schaffen, damit weltweit nicht noch mehr Menschen als bisher hungern müssen.
Darüber hinaus blieb er aber viele Antworten schuldig. Der Umfang der Waffenlieferungen an Kiew etwa ist eng verknüpft mit der Frage, ob die Ukrainerinnen und Ukrainer sich nur verteidigen sollen oder ob sie in die Lage versetzt werden sollen, die russische Armee aus dem Land drängen zu können, wie es der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj anstrebt.
Wissen möchte man auch gerne, welche Ziele die Ampelkoalition mit den 100 Milliarden Schulden für die Bundeswehr und dem angestrebten Zwei-Prozent-Ziel der Nato und den damit jährlich zusätzlichen rund 25 Milliarden Euro zu den etwa 50 Milliarden für den Verteidigungsetat erreichen will. Einige Details sind ja bereits bekannt, wie die Anschaffung des US-Kampfjets F35.
Ukraine-Krieg: Wie gefährlich wird Russland in Zukunft sein?
Unklar ist aber, wie bedrohlich Deutschland und die anderen EU-Staaten Wladimir Putins Regime einstufen und wie sie darauf antworten wollen. Müssen die europäischen Staaten eine immens teure Raketenabwehr aufbauen und ihre Armeen auch ansonsten mit sehr viel Geld aus- und aufrüsten? Und wäre es dann nicht notwendig, die Armeen aufeinander abzustimmen, um weniger Geld auszugeben? Wenn aber eine Partnerschaft mit Russland nicht möglich ist, wie sollen die Beziehungen zu dem Nachbarn künftig aussehen? Wird sich Europa lediglich gegen die Angriffe des hybriden Krieges verteidigen?
Wichtig wäre es auch, den Ukraine-Krieg als ein Teil des Konflikts zischen den USA, China und Russland zu sehen. Dann drängt sich die Frage auf, wie Deutschland und anderen EU-Staaten darauf reagieren wollen. Es ist diesbezüglich sicher richtig, wenn Brüssel die Staaten des Westbalkans und deren EU-Beitrittsambitionen wieder verschärft in den Blick nimmt. Und zwar nicht nur, um den Einfluss Russlands und Chinas dort zurückzudrängen. Es sollte auch das dort vorherrschende Gefühl beseitigt werden, Europäer zweiter Klasse zu sein.
Dringend müsste die Ampelkoalition auch erklären, wie sie Belastungen des Ukrainekrieges mit anderen wichtigen und nicht weniger kostenintensiven Zielen wie dem Klimaschutz oder gar dem dringend notwendigen sozioökonomischen Umbau der Gesellschaft in Einklang bringen will.
Ukraine-Krieg: Deutschland wird Führungsrolle einnehmen müssen
Bisher galt, dass in der Phase der Bewältigung des Schocks über den russischen Überfall erst einzelne Schritte entwickelt und umgesetzt werden mussten. Doch so langsam wird es Zeit, längere Linien zu ziehen und die unterschiedlichen Ziele zu priorisieren. Hier mag es auch nicht hilfreich sein, dass die drei Parteien der Ampelkoalition sich in vielem nicht einigen können, wie die verschiedenen und teils widersprüchlichen Elemente des Entlastungspakets zeigen.
Oder anders formuliert: Nicht nur die Ampelkoalition wird das ökonomische Schwergewicht Deutschland in ein politisches verwandeln müssen, um all die genannten Herausforderungen mit den europäischen und transatlantischen Verbündeten lösen zu können. Man mag mit der Anregung von SPD-Parteichef Lars Klingbeil, Deutschland müsse eine Führungsmacht werden, nicht einverstanden sein. Doch die Richtung dieser Debatte stimmt.
Schließlich erwarten nicht nur aber vor allem mittel- und osteuropäische Staaten sehr viel von Deutschland. Und Berlin ist nur mal zentral wichtig für die Entwicklung Europas. Dies lässt sich auch positiv nutzen, wenn deutsche Regierungen sich eng mit den anderen EU-Staaten absprechen und gemeinsame Ziele entwickeln. (Andreas Schwarzkopf)