Neues Corona-Infektionsschutzgesetz: Die Gefahr der „autoritären Demokratie“

Das neue Corona-Infektionsschutzgesetz ist verabschiedet. Doch der Bundestag verzichtet auf eine konsequente Verteidigung demokratischer Rechte. Ein Kommentar.
- Neues Infektionsschutzgesetz: Auf der großen Bühne des Bundestags war wieder einmal Abnicken im Eiltempo angesagt.
- Es geht um die Gefahr, dass die Regierung im Corona-Krisenfall mit einem ungesunden Übergewicht ausgestattet wird.
- Die Chance, zu beweisen, dass Pandemie-Bekämpfung und strikte parlamentarische Kontrolle kein Widerspruch sind, ist vertan.
Eines kann man der großen Koalition nicht absprechen: Das Verfahren passt zum Inhalt. Zwar hat es um die neuen gesetzlichen Regeln für Lockdowns und ähnliches einiges Hin und Her gegeben. Zwar haben sich die Koalitionsparteien in langen Verhandlungsrunden bei der Novelle des Infektionsschutzgesetzes auf ein paar von der SPD geforderte Verbesserungen geeinigt. Aber auf der großen Bühne des Bundestags war wieder einmal Abnicken im Eiltempo angesagt. Und das passt leider zu der mit dem Gesetz beschlossenen Weigerung, eine aktive Beteiligung des Parlaments an künftigen Corona-Maßnahmen eindeutig festzuschreiben.
Neues Corona-Infektionsschutzgesetz: Die Defizite müssen klar benannt werden
Die neuen Regeln sind zwar durch die Intervention der SPD und durch öffentlichen Druck besser geworden: So müssen Verordnungen zur Einschränkung von Freiheitsrechten besser begründet werden, auch eine Befristung ist vorgesehen, und die Maßnahmen sind klarer definiert. Aber ein zentraler Punkt fehlt: Einen echten Parlamentsvorbehalt für einzelne Verordnungen wird es nicht geben. Wenn der Bundestag die Regierung ausbremsen will, müsste er im Zweifel die Feststellung der epidemischen Notlage ganz zurücknehmen.
Es ist nicht leichter geworden, diesen Mangel an Demokratie vernünftig zu kritisieren, wenn gleichzeitig bei Protestaktionen und Demos von „Ermächtigungsgesetz“ gefaselt wird. Dieser Vergleich mit dem Coup, der den Nationalsozialisten zur Errichtung ihrer Diktatur diente, verharmlost die historischen Verbrechen und droht den Blick auf die tatsächlichen Fehler der Gegenwart zu verstellen. Aber gerade deshalb müssen diese Defizite klar benannt werden.
Corona-Infektionsschutzgesetz: Natürlich geht es nicht um „Diktatur“
Nein, es geht heute nicht um „Ermächtigungsgesetz“ und „Diktatur“. Sehr wohl geht es um die Gefahr, dass die Regierung im Krisenfall mit einem ungesunden Übergewicht ausgestattet wird. Ihre Aufgabe als Exekutive, also ausführende Gewalt, besteht eigentlich darin, das zu tun, was die Legislative, also das gesetzgebende Parlament, ihr aufträgt. Oder sich zumindest parlamentarisch genehmigen zu lassen, was sie selbst initiiert.
Schon im Alltag sind aber Tendenzen zu dem erkennbar, was sich – nur scheinbar widersprüchlich – als „autoritäre Demokratie“ bezeichnen ließe. Demokratische Kontrollinstanzen sind nicht entmachtet, aber ihre Rolle verschiebt sich allzu oft in Richtung auf das formale Beglaubigen dessen, was in Koalitionsrunden oder anderen Zusammenhängen jenseits öffentlicher Debatte beschlossen wurde.
Corona-Infektionsschutzgesetz: Auch in Parlamenten kann es schnell gehen - nur leider an der falschen Stelle
Nun, in der Pandemie-Krise, verschärft sich diese Tendenz. Es scheint ja auf der Hand zu liegen, dass im Zweifel Eile geboten ist. Aber das droht zum Vorwand zu werden für eigenmächtiges exekutives Handeln. Um nur das aktuellste Beispiel zu nennen: Gerade haben sich Bund und Länder um gut eine Woche vertagt, weil sie sich auf die nächsten Schritte in Sachen Lockdown nicht einigen konnten. Niemand kann behaupten, dass die Regierungen in dieser Zeit nicht auch ihre Parlamente hätten fragen können, wo es langgehen soll.
Dass es auch in Parlamenten schnell gehen kann, beweisen Bundestag und Bundesrat gerade mit der im Schweinsgalopp durchgezogenen Novelle des Infektionsschutzgesetzes. Nur leider an der falschen Stelle. (Stephan Hebel)