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Die Brexit-Notbremse

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Von: Peter Rutkowski

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Britischer Premierminister Sunak
Der britische Premier Rishi Sunak. © Stefan Rousseau/dpa

Der britische Premier Sunak versucht, sein Land vor dem Abgrund zu retten. Doch die Zukunft entscheidet sich nicht nur in London und Brüssel, sondern auch in Nordirland. Der Leitartikel.

London – Auf Twitter macht gerade ein „Rezept aus dem Brexit-Kochbuch“ die Runde. Neben dem Bild eines leeren tiefen Tellers und eines Bestecks werden die Zutaten aufgezählt: „500 Gramm Souveränität, eine Tasse ,Wir holen uns die Macht zurück‘ und 300 Gramm keine Tomaten.“ Die Zubereitung: „Mix the ingredients & gaslight for 7 years.“ Übersetzt: Alles verrühren und dann sieben Jahre lang sich und der Welt etwas vorgaukeln. Überschrieben ist das mit „A Big Bowl of Fuck All“ – eine große Schüssel voll absolut gar nichts. Kurz gesagt: Großbritannien hat zwar nichts mehr zu fressen, aber der tiefstschwarze Humor wird dem Land als Letztes abhandenkommen.

Die Menschen im Vereinigten Königreich haben längst alle Hoffnung fahren lassen. Eine große Kulturnation steht durch die egomanische Raffgier einer selbsternannten Elite vor dem Untergang. Die Opposition tut, was Linke am besten können: sich selbst zerfleischen. Eine äußerst geglückte Friedensordnung wird ohne jeden Anlass lustvoll zerstört, eine Volkswirtschaft unter unablässigem Lügen und sich-jeder-Verantwortung-Entziehen ausverkauft.

Von der Leyen nicht zu beneiden

Am Ende – das nun erreicht ist – bleiben leere Regale in den Supermärkten und Menschen, die sich eh nichts mehr leisten können, weil die Tory-Brexiteers auch das allerletzte Tafelsilber für sich und ihre internationale Oligarchenklientel eingesackt haben. Und in dieses Land ist am Montag Ursula von der Leyen gereist. Sie war nicht zu beneiden.

Immerhin: Seit 2016 hatte sie den ersten wenigstens einigermaßen vernünftigen Gesprächspartner als Gastgeber in Aussicht: Großbritanniens Premier Rishi Sunak, der nun die Notbremse im Brexit-Express Richtung Abgrund ziehen muss.

Königreich in Abwicklung

Nochmal kurz zur Lage des „Königreichs in Abwicklung“: Eine Mehrheit der Menschen dort sieht nun ein, was ihnen Europa schon vor 2016 gepredigt hat: Der Brexit ist euer Untergang. Die größten Anti-EU-Schreihälse haben ihre politische Karriere ordentlich vergeigt und tendieren dorthin, von wo aus sie nie hätten ins Rampenlicht dürfen kommen: an die „lunatic fringe“, an den Rand der politischen Zurechnungsfähigkeit. Unterhaltsam, aber irrelevant. Wie Boris Johnson eben.

Was für ein Kontrast dagegen Sunak: Der ist zwar wie sein Vorgänger ein Karrierist ohne Wenn und Aber, ein so skrupelloser wie geschickter Kriegsgewinnler (wie in seinem Fall nur die britische Finanzwirtschaft das vollbringen kann) … er ist aber auch ein Pragmatiker, dem Ideologie bestenfalls überflüssig vorkommt – schlimmstenfalls als Disqualifizierung, politisch, ökonomisch, menschlich. Der zwischen seinem Team und dem erz-pragmatischen Brüssel ausgehandelte Deal sollte also bloße Formsache sein. Danach noch ein Fototermin der EU-Kommissionspräsidentin mit dem britischen Monarchen – der Annäherung von Insel und Kontinent sollte nichts mehr im Wege stehen.

Sunaks Chance

Nota bene: Annäherung – nicht Wiederannäherung. Egal wie die europäische Zukunft Großbritanniens mal aussehen wird: So wie vor 2016 wird sie nicht mehr. Wäre da nicht der neue europäische Krieg, allein all das von politisch Minderbemittelten (Farage, Truss…) zerschlagene Porzellan würde sich nicht mehr kitten lassen. Vielleicht ist Sunak auch der Richtige für einen Neustart von null an.

Falls er sein eigenes Haus in Ordnung bringt. Und das wird nochmal schwierig – mit der realistischen Option auf: unmöglich. Natürlich krakeelt es von den Tory-Hinterbänken jetzt extrem laut. Aber Sunak weiß: Am Ende ist das alles heiße Luft. Für genügend andere Torys entscheidet sich in der Loyalität zu ihrem Premier die letzte Möglichkeit, nochmal wiedergewählt zu werden. Sie wollen dann auch nicht vor leeren Regalen stehen wie die Menschen im Königreich jetzt, die sie in die Armut, ins Abseits und in den Abgrund gestoßen haben.

Nordirischer Klotz am Bein

Die entscheidende Geschichte ficht Sunak mit einer anderen politischen Randerscheinung aus: den protestantischen Sekten in Nordirland. Deren gesamte politische Tradition basiert auf sturem Extremismus, Hauptsache, es gereicht zum eigenen Vorteil. Als Mehrheitsbeschaffer der Torys hat man sie 100 Jahre lang ertragen. Jetzt sind sie für die Mehrheit der Konservativen ein bedrohlicher Klotz am Bein geworden. Wenn Sunak diesen Klotz auf den Müllhaufen der Geschichte bugsieren kann, dann hat Großbritannien eine europäische Zukunft. (Peter Rutkowski)

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