Frank-Walter Steinmeier: ein guter Präsident – für das alte Deutschland

Frank-Walter Steinmeier hat gute Chancen, als Bundespräsident wiedergewählt zu werden. Aber passt das wirklich in die Zeit? Ein Kommentar.
Frankfurt/Berlin - Die Reden sind immer freundlich, die abgehobene Staatsmann-Pose fehlt fast ganz, das Bemühen, die Botschaften vom Lebensalltag der Menschen her zu formulieren, ist unübersehbar: Kaum jemand wird Frank-Walter Steinmeier als schlechten Präsidenten bezeichnen. Selbst diejenigen nicht, denen es verständlicherweise schwerfällt, den Predigerton in Wiederholungsschleife zu ertragen.
Steinmeier, so lässt sich das sagen, repräsentiert Deutschland nicht schlecht. Aber welches Deutschland eigentlich?
Frank-Walter Steinmeier: Ein wirklich großer Präsident hätte freiwillig Platz gemacht
Der Sozialdemokrat im höchsten Staatsamt (wenn auch mit ruhender Parteimitgliedschaft) gibt darüber zunächst schon durch Eigenschaften Auskunft, für die er nichts kann. Er ist nun mal ein weißer Mann im Rentenalter, das wird ihm niemand übel nehmen. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass eine Frau im höchsten Staatsamt im Jahr 73 nach Gründung der Bundesrepublik eigentlich selbstverständlich sein müsste. Ein wirklich großer Präsident hätte das verstanden, und er hätte freiwillig Platz gemacht für dieses Mindestsymbol einer diversen und gleichberechtigten Gesellschaft. Zumal, da nun auch das Kanzleramt wieder von einem Mann besetzt ist.
Das hat er nicht getan, und schon darin zeigt sich, welches Deutschland er repräsentiert und welches nicht. Steinmeier steht für ein Land, das sich zwar verändert und modernisiert, das gesellschaftlicher Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung mehr Aufmerksamkeit widmet als früher – was er selbst durchaus in vielen Reden tut. Aber er steht nicht für ansteckende Lust am grundlegenden Wandel.
Steinmeier passt gut zur Ampel und Kanzler Scholz - das ist das Problem
Zu erinnern ist daran, dass der Präsident vor vier Jahren bis an die Grenze seiner Amtsbefugnisse darum gerungen hat, die SPD erneut in die große Koalition mit CDU und CSU zu zwingen. Zu erinnern ist auch daran, dass er 2009, obwohl gerade katastrophal gescheitert als Kanzlerkandidat, sofort und gar nicht sanft nach dem Fraktionsvorsitz im Bundestag griff – ganz offensichtlich, um dem linken Parteiflügel den Weg nach oben abzuschneiden.
Diese Hinweise mögen auf den ersten Blick kleinkariert wirken angesichts der großen Reputation des Amts und derjenigen, die es jeweils inne haben. Aber das sind sie nicht. Sie dienen der Einschätzung einer nicht unsympathischen, ehrlich bemühten und von Demokratie beseelten Person, der es nur leider an einer Fähigkeit mangelt: ohne allzu viele taktische Rücksichten und Zwänge für die Lust an der großen Erneuerung zu stehen, die dieses Land braucht.
Insofern passt der Bundespräsident ganz gut zur Ampel, vor allem zu deren Kanzler Olaf Scholz. Aber genau das ist das Problem. (Stephan Hebel)