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Gesellschaft muss fehlende Gewissheit in einer Pandemie aushalten

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Von: Pamela Dörhöfer

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Bis heute ist ein Graben geblieben zwischen zwei Lagern. Beide Seiten eint der Wunsch nach einfachen Antworten, nach Bestätigung der eigenen Sichtweise um jeden Preis, das Aneinandervorbeireden.
Bis heute ist ein Graben geblieben zwischen zwei Lagern. Beide Seiten eint der Wunsch nach einfachen Antworten, nach Bestätigung der eigenen Sichtweise um jeden Preis, das Aneinandervorbeireden. © Patrick Pleul/dpa

Eine Lehre aus der Corona-Krise lautet: Unsicherheit muss ertragen werden, weil es keine einfachen Antworten gibt. Der Leitartikel.

Noch keine zwölf Monate ist es her, dass in Deutschland über die Impfpflicht debattiert wurde, „Wellenbrecher-Lockdown“, 2-G-Regel und nächtliche Ausgangssperre liegen rund zwei Jahre zurück. Heute erscheint das unendlich weit weg. Als letzte verbliebene Einschränkung soll am 7. April die Maskenpflicht für Besucherinnen und Besucher von Arztpraxen, Kliniken und Pflegeheimen fallen. Die Pandemie dürfte für die meisten Menschen spätestens damit beendet sein. Nachwirken wird sie gleichwohl noch lange.

Das gilt zuallererst für die Kollateralschäden der diversen Maßnahmen, zu denen psychische und zu spät erkannte Erkrankungen gehören, Übergewicht, Bildungslücken bei Kindern und Jugendlichen, der mit Isolation einhergehende geistige und körperlicher Abbau von Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeheimen, das einsame Sterben alter und todkranker Menschen oder auch zerstörte wirtschaftliche Existenzen.

Man kann sich die Frage stellen, ob das dadurch verursachte Leid nicht schlimmer ist als das, was das Virus anzurichten vermocht hätte, wäre es ohne jegliche Einschränkung „durchgerauscht“. Sie entzieht sich ebenso einer eindeutigen Antwort wie jene nach der Wirksamkeit der Maßnahmen.

Die langen Schulschließungen und die von einigen leidenschaftlich geforderte No-Covid-Strategie lassen sich rückblickend wohl als Irrweg bezeichnen. Und so manches Verbot mutet aus heutiger Sicht geradezu absurd an – etwa das, längere Zeit auf einer Parkbank zu sitzen.

Bei Maskenpflicht, Homeoffice, geschlossenen Restaurants, Theatern, Kinos und Konzerthallen fällt die Einschätzung schwerer. Das gern zitierte Präventionsparadoxon taugt als Argument für die Wirksamkeit nur bedingt, ebenso wenig stellt aber auch der mehr auf Freiwilligkeit setzende „schwedische Sonderweg“ einen Beweis dafür dar, dass Maskenpflicht und Lockdown gar nichts gebracht hätten.

Bis heute geblieben von der Pandemie ist auch der Graben, der zwei nicht befriedete Lager trennt – auch wenn das nicht mehr so grell aufleuchten mag wie zu Hochzeiten des fast hasserfüllten Streits um die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen und das Impfen. Beide Seiten eint der Wunsch nach einfachen Antworten, nach Bestätigung der eigenen Sichtweise um jeden Preis, das Aneinandervorbeireden.

Wie schwierig es ist, mit Unsicherheiten und Komplexität umzugehen, zeigte sich jüngst wieder beim Umgang mit einer Arbeit des internationalen Wissenschaftsnetzwerks Cochrane zum Thema Masken.

Die Autorinnen und Autoren hatten 78 Studien analysiert und keine Evidenz für einen Einfluss auf die Verbreitung von Atemwegsinfekten gefunden. Dafür kann es verschiedene Erklärungen geben, unter anderem, dass Masken oft nicht richtig sitzen oder man sich häufig im privaten Umfeld ansteckt. Auch bedeutet das Ergebnis nicht, dass eine Maske den einzelnen Menschen nicht schützt. Die Forschenden wiesen selbst auf das Fehlen wirklich aussagekräftiger Studien hin.

Gleichwohl trumpften nun jene auf, die schon immer überzeugt waren, dass Masken nichts bringen. Auf der anderen Seite wiederum gab es Geraune um einen der Autoren, einen Oxford-Professor, der sich kritisch zu Masken geäußert hatte; da klang unausgesprochen mit, er könne voreingenommen gewesen (und die Studie somit qualitativ minderwertig) sein. Sich aus einem uneindeutigen Sachverhalt das „Passende“ herauszupicken, war und ist typisch für den Umgang mit Corona. Dabei zeigt gerade die Cochrane-Analyse beispielhaft, wie viel Ungeklärtes es nach drei Jahren Pandemie noch gibt.

Rund eine halbe Million Studien sollen zu Corona publiziert worden sein. Trotzdem bestehen noch viele Wissenslücken, die sich so schnell nicht und vielleicht sogar nie füllen lassen. Um etwa sicher feststellen zu können, wie sich Masken auf das Infektionsgeschehen auswirken, bräuchte es eine Kontrollgruppe, die keine Maske trägt.

Eine solche Studie wäre aber unethisch, man darf Teilnehmenden die Nutzung von Masken nicht verbieten. Ein ähnliches Problem gäbe es auch bei Studien mit zugelassenen Impfstoffen. Speziell in Deutschland krankt der Erkenntnisgewinn dazu noch an fehlenden Daten.

Wo es an Gewissheiten mangelt, sollten nicht persönliche Überzeugungen an ihre Stelle treten, sondern Blickwinkel geweitet und in einem offenen Diskurs viele, auch konträre Stimmen gehört werden, möglichst aus unterschiedlichen Fachrichtungen und möglichst nicht nur jene, die ohnehin immer laut zu hören sind. Das gilt insbesondere dann, wenn es um die Aufarbeitung von Maßnahmen und um die Basis politischer Entscheidungen geht – auch mit Blick auf künftige Pandemien, vor denen Fachleute warnen, die man nicht heraufbeschwören muss, deren Möglichkeit man aber auch nicht leugnen sollte.

Ob der „Corona-Expertenrat“ der Bundesregierung das geeignete Gremium dafür ist? Auch das lässt sich schwer beurteilen. Bisher war das, was von ihm kam, eher dünn. Und die letzte Stellungnahme liegt mehr als ein halbes Jahr zurück.

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