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Landtagswahlen in Hessen werden für Faeser zu einem Drahtseilakt

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Von: Pitt von Bebenburg

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Die Kandidatur von Bundesinnenministerin Faeser in Hessen birgt Risiken. Ihre Chancen hängen von dem Erfolg der Ampel ab. Der Leitartikel.

Wiesbaden – Nancy Faeser spielt ein riskantes Spiel. Die erste Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums möchte auch die erste Frau an der Spitze der hessischen Landesregierung werden – und den Wahlkampf für die SPD aus ihrem Berliner Amt heraus führen. Kann das gut gehen?

Es ist in jedem Fall ein sehr schwieriger Balanceakt. Ob Faeser ihn erfolgreich bewältigt oder vom Drahtseil stürzt, ist eine Frage, die nicht nur Hessen beschäftigt. Sie besitzt auch für die Ampel-Regierung und Kanzler Olaf Scholz größte Bedeutung. Denn Faeser steht für die Ampel.

Werden die Landtagswahlen in Hessen so schmutzig wie zu Zeiten von Koch 1999?

Vor gut zwei Jahrzehnten führte die hessische CDU einen knallharten Wahlkampf gegen die neue rot-grüne Bundesregierung. Roland Koch gewann damals, indem er gegen das Staatsbürgerschaftsrecht mobilisierte und vor Ressentiments nicht zurückschreckte. Damals durchbrach die CDU die Vorherrschaft der SPD für lange Zeit im einst „roten Hessen“.

Nancy Faeser
Bundesinnenministerin Nancy Faeser steht als Spitzenkandidatin der SPD für die hessische Landtagswahl am 8. Oktober bereit. Der Wahlkampf von Berlin aus dürfte ein Drahtseilakt werden. © Swen Pförtner/dpa

Und heute? Es gibt wieder eine neue Bundesregierung, die erstmals von SPD, Grünen und FDP gestellt wird. Zu den Projekten der Ampel-Koalition zählen eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und andere Vorhaben in der Migrationspolitik. Verantwortlich dafür: Ministerin Nancy Faeser. Wird der hessische Wahlkampf also wieder so schmutzig wie 1999? Die Gesellschaft ist offener geworden. Nun wird sich in Hessen zeigen, ob die CDU von Boris Rhein tatsächlich anders tickt als Kochs CDU damals.

Faeser schon in der Vergangenheit ein Verbindungsglied zu Grünen und FDP in Hessen

In jedem Fall wird es ein Tag der Abstimmung über die Politik der Ampel werden. Am 8. Oktober steht eine kleine Bundestagswahl an. Dann sind 14 Millionen Menschen aufgerufen, die Landtage von Hessen und Bayern zu wählen. Es geht ausgerechnet um die Bundesländer, in denen die SPD am längsten nicht mehr an der Regierung war. Kann Faeser das in Hessen ändern?

Das wäre ein Riesenerfolg für die SPD, aber auch für die Ampel. Denn Faeser steht wie kaum eine Politikerin oder ein Politiker für die Zusammenarbeit von SPD, Grünen und FDP. Seit Jahren hat sie sich in Hessen darum bemüht, nicht nur die langjährige Verbindung zu den Grünen aufrecht zu erhalten, sondern auch Kontakte zu den Freien Demokraten zu pflegen und Gemeinsamkeiten zu finden.

Kostet Doppelbelastung Faeser letztlich wichtige Stimmen bei der Landtagswahl in Hessen?

Faeser gibt der Ampelpolitik ein Gesicht und sie wird dafür haftbar gemacht – zumal, wenn sie der Bundesregierung weiter angehört. Die Sozialdemokratin wird keinerlei Spielraum haben, sich von der Linie ihrer Partei und der Regierung abzugrenzen. Damit verliert sie eine Chance, die andere nutzten: Ob Daniel Günther bei der CDU, Winfried Kretschmann bei den Grünen oder Bodo Ramelow bei den Linken – viele Politiker sind gewählt worden, weil sie erkennbar von der Parteilinie abwichen. Faeser wird sich nicht abkoppeln können, auch wenn die Zustimmung zur Politik der Ampel schwindet.

Enge Bindung an die hessische Heimat: Nancy Faeser (M) wird im Mai 2022 als Landesvorsitzende der SPD wiedergewählt.
Enge Bindung an die hessische Heimat: Nancy Faeser (M) wird im Mai 2022 als Landesvorsitzende der SPD wiedergewählt. © dpa

Wenn sie Erfolg haben will, müsste vieles zusammenkommen. Monatelang wird sie bei jeder Gelegenheit mit dem Verdacht konfrontiert werden, sie sei im Amt der Innenministerin nicht bei der Sache und rechne sowieso mit einer Niederlage in Hessen, da sie eine Rückversicherung in Berlin habe. Es wird eine Dauerbeschallung werden, die sie im erwartbar knappen Rennen einige Zehntelprozente kosten könnte.

Das wäre in den Monaten vor der Landtagswahl ins Hessen klüger für Faeser gewesen

Vermutlich wäre es klüger gewesen, wenn Faeser das Amt der Innenministerin zumindest in den Monaten vor der Wahl abgegeben hätte. Das allerdings wäre nicht authentisch gewesen. Die Sozialdemokratin hätte den Wählerinnen und Wählern damit vorspielen müssen, dass sie auch als Oppositionsführerin mit Begeisterung in den hessischen Landtag zurückgekehrt wäre, dem sie bereits 18 Jahre angehört hat. Aber wer hätte ihr das abgenommen?

Gerade in Zeiten des Ukraine-Kriegs und russischer Kriegspropaganda, angesichts von Sabotagegefahr und Rechtsextremismus, aber auch angesichts starker Zuwanderung gibt es im Innenministerium tagtäglich die ganz großen Herausforderungen zu bewältigen. Faeser wird sich bei vielen hessischen Terminen entschuldigen lassen müssen. Anders als ihre Konkurrenten Boris Rhein (CDU) und Tarek Al-Wazir (Grüne), die sich von Amts wegen in Hessen zeigen. Der Landtagswahlkampf wird allerdings nicht nur dort ausgetragen. Er wird sich zu einem nicht geringen Teil auf der Bundesbühne abspielen, wenn die Union gegen die Ampel-Kandidatin mobilisiert.

Landtagswahlen: Eine hessische Ampel-Regierung gibt es nur mit Faeser

Das ist nicht zuletzt eine Herausforderung für die Grünen, die in Hessen traditionell stark sind. Immerhin kam die Ampel nach der letzten Landtagswahl vor allem deshalb nicht zustande, weil die Grünen vor der SPD landeten. Die FDP war nicht bereit, den Grünen Al-Wazir in die Staatskanzlei zu hieven.

Beim nächsten Mal werden sich die Freidemokrat:innen kaum anders verhalten. Daher würde es eine Ampelregierung nur mit einer Ministerpräsidentin Faeser geben oder gar nicht. Auch deswegen tritt sie in dieser Rolle an: als Ampel-Kandidatin. (Pitt von Bebenburg)

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