Bundesparteitag: Eindimensionale FDP

Die FDP ist sich ihrer selbst zu sicher. So macht sie sich verzichtbar. Wenn sich das nicht ändert, wird sich der Scheinriese verzwergen. Der Leitartikel.
Wäre Deutschland eine Reality-Show im Fernsehen, könnte die FDP bei den Einschaltquoten punkten. Christian Lindner hier, Agnes Strack-Zimmermann dort, Volker Wissing da, die Partei auf allen Kanälen und in sämtlichen Talksendungen. Jetzt trifft sich der Verkehrsminister Wissing sogar noch mit den Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ zum Klima-Showdown. Ein Traum für eine medial aufgeplusterte Gesellschaft. Ja, da ist für Krawall und Aufmerksamkeit gesorgt
Das gibt den lautstarken Freidemokrat:innen natürlich Selbstbewusstsein. Die in den Umfragen derzeit einstellige FDP kann vor Kraft kaum laufen. So scheint es zumindest. In der öffentlichen Aufmerksamkeit erscheint die kleine FDP wie ein Riese, der seinen langen Schatten auf die gesamte Ampel-Regierung und bis nach Europa wirft.
Bei genauerem Hinsehen ist die FDP allerdings eher der Scheinriese aus dem Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, der immer mehr schrumpft, je näher man ihm kommt. Denn nicht nur die Umfragen im Bund sind wenig schmeichelhaft für die Freidemokraten, in den Ländern hat die Partei zuletzt eine Schlappe nach der anderen kassiert. Sollte der Trend auch bei den Landeswahlen in Bremen im Mai und vor allem später in Hessen und Bayern anhalten, geht es an die Substanz der kleinsten Ampel-Partnerin in Berlin. Dann verzwergt sich der Scheinriese selbst.
Dabei wird die FDP gebraucht. Ja, das ist – oberflächlich betrachtet – eine steile These, aber eine wohlgewählte. Im Gegensatz zu den konservativen Unionsparteien steht der Mainstream der FDP (mit Ausnahmen) für eine offene Gesellschaft, die Einwanderung als Gewinn interpretiert und das Staatsbürgerschaftsrecht an die Erfordernisse eines modernen Einwanderungslands anpassen will. Eine weitere gesellschaftspolitisch liberale Partei wird gebraucht, weil sie eine weltoffene Politik in Milieus repräsentiert, die nicht klassisch links sind. Das ist wichtig in einer Zeit, die durch identitätspolitische Abgrenzungen charakterisiert ist.
Die Frage ist nur: Wird DIESE FDP gebraucht? Die andererseits im Verbrennerstreit so tut, als könnten wir im Verkehr so weitermachen wie bisher? Die die Wärmewende bremst und sich hinter dem Slogan einer „technologieoffenen“ Prüfung versteckt, statt die notwendigen Entscheidungen mitzutragen? Die den Liberalismus zwar für sich in Anspruch nimmt, aber sozialpolitisch viel zu häufig eine ordinäre Interpretation von Freiheit zugrunde legt, die die eigene nicht mit der Freiheit der anderen ausreichend austariert?
Das Problem der FDP: Sie fragt sich das kaum selbst. Sie ist sich ihrer zu sicher, obwohl sie ihrer selbst nicht sicher sein kann. Während die SPD und sogar die CDU in aufwendigen und teuren Prozessen der Selbstvergewisserung mit Umfragen und Regionalkonferenzen der Frage nachgehen, wofür die Parteien noch stehen oder vielmehr stehen sollten, kapseln sich die Freidemokraten (und wenigen Freidemokratinnen) in ihrer Rolle als klientelistische Ampel-Störer. Sie verschanzen sich hinter ihrem charismatischen Illusionskünstler-Vorsitzenden Christian Lindner, der den smarten BWLer gibt, obwohl er das eigentlich nicht ist. Die Partei wirkt wertebefreit – und eindimensional.
Kritiker:innen der FDP kommen an dieser Stelle meist mit den Namen Gerhart Baums, Burkhard Hirschs und Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers um die Ecke, die der Partei einst auf linksliberaler Seite eine intellektuelle Tiefenschärfe verschafft haben, die der FDP heute abgeht. Doch Hirsch ist tot und Baum 90 Jahre alt, solche Anknüpfungen an die sehr verdienten Politiker:innen sind also ungefähr so ermüdend wie der ewige sozialdemokratische Rekurs auf das Idol Willy Brandt.
Dabei hat die FDP aufstrebende Leute wie den sozialliberalen Johannes Vogel aus Nordrhein-Westfalen und auch ernstzunehmende Klimapolitiker:innen, die es nicht nötig haben, identitätspolitische und anti-woke Debatten loszutreten wie Wolfgang Kubicki, der mit purer Lust an der Provokation mit Verbrenner zur nächsten Kneipe düst, nur um es den Grünen zu zeigen. Nur: Sie gehen unter und sind allenfalls leise zu hören.
Die Eindimensionalität der FDP rührt auch daher, dass die sich selbst als progressiv wahrnehmende Partei mit einem Männeranteil von rund 80 Prozent viel zu einseitig aufgestellt ist. Frühere Parteitagsbeschlüsse zu höheren Frauenanteilen sind regelmäßig in der Umsetzung gescheitert, weil Quotenregelungen als illiberales Teufelszeug gelten – da wäre er wieder, der ordinäre Freiheitsbegriff. Der Markt regelt eben nur, wenn die Rahmenbedingungen vernünftig gesetzt sind – eigentlich alte, ordoliberale Schule, mit der Lindner gerne auf Werbetour geht. Für eine echte liberale Partei ist das ein Armutszeugnis.