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Documenta der Ignoranz

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Von: Sandra Danicke

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Die Kunstschau droht all das zu verspielen, wofür sie zu stehen vorgibt: Respekt, Dialogfähigkeit und Menschlichkeit.

Kassel – Jetzt ist es also tatsächlich passiert: Die Documenta fifteen in Kassel präsentierte ein Bild, auf dem antisemitische Darstellungen zu sehen sind. Nicht versteckt irgendwo in einer Industriebrache, sondern mitten im Zentrum, am Friedrichsplatz, nicht winzig, sondern riesengroß. Das ist unerhört.

Nicht nur (wenngleich in erster Linie), weil es Juden diffamiert. Weil es die Werte, für die die Bundesrepublik Deutschland sich als Staat einsetzt, mit Füßen tritt. Dieses Werk und seine Präsentation an diesem Ort sind auch deshalb unerträglich, weil die aktuelle Documenta damit all das zu verspielen droht, wofür sie zu stehen vorgibt: Gerechtigkeit, Dialogfähigkeit, Respekt voreinander.

Es ist unerträglich, weil all jene Künstlerinnen und Künstler, die ohnehin damit zu kämpfen hatten, dass sie vorab unter Generalverdacht antisemitischen Gedankenguts standen, die man kritisch beäugt hatte und deren Werke nun endlich zu sehen sind, nun erneut in einem Kontext wahrgenommen werden, der ihnen nicht gerecht wird. Und nicht nur das.

Auf der Documenta kam es zu einem Zwischenfall. Ein antisemitisches Banner wurde präsentiert.
Auf der Documenta kam es zu einem Zwischenfall. Ein antisemitisches Banner wurde präsentiert. © Rüdiger Wölk/imago

Documenta: Skandal rückt gesamte Veranstaltung in schlechtes Licht

Der Skandal degradiert auch all jene Politiker und Politikerinnen, Journalistinnen und Journalisten, die sich in den vergangenen Monaten für die Documenta und ihr Konzept stark gemacht haben, zu Lügnern.

Auf der Documenta sei wohl kein antisemitisches Kunstwerk zu sehen, hatten wir – hatte ich – noch vor wenigen Tagen in dieser Zeitung postuliert. Das war zu diesem Zeitpunkt vermutlich richtig (genau kann man es bei dieser Bilderflut nach zwei Tagen nicht sagen).

Das Werk, um das es nun geht, war an den Previewtagen nicht zu sehen, es wurde erst enthüllt, als bereits viele Journalistinnen und Journalisten abgereist, zahlreiche Kritiken geschrieben waren. Ein perfides Täuschungsmanöver? Nachlässigkeit? Man weiß nicht, was schlimmer ist.

Documenta: Entschuldigungen klingen haltlos

Das fragliche Banner habe vorab restauriert werden müssen, heißt es jetzt. Selbst wenn. Hat vor dem oder während des Restaurierens niemand hingesehen? Hat man zuvor nicht besprochen, was an zentraler Stelle vor dem Fridericianum gezeigt werden soll? Hat man einander einfach blauäugig vertraut?

Dass die Macherinnen und Macher der Documenta einzelne Werke nicht allzu wichtig nehmen, haben sie oft genug postuliert. Wichtiger seien Gespräche, dass man einander zuhört, miteinander Einsichten und Ressourcen teilt. Nun muss man den Eindruck haben, über wichtige Dinge sei unter den Beteiligten keineswegs genug gesprochen worden. Wenn es jetzt heißt: Sorry, war keine Absicht, das Bild war nicht böse gemeint, dann mag das stimmen oder nicht – es spielt nahezu keine Rolle mehr.

Wäre der Schaden zu begrenzen gewesen? Die Reaktionen der Verantwortlichen (des indonesischen Kollektivs Taring Padi, der Kuratorengruppe Ruangrupa, der Documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann) wirken auf enttäuschende Weise hilflos. Die Argumentation, dass dieses Bild zwanzig Jahre alt ist und für einen anderen Kontext konzipiert wurde, dass die Motive nur in Deutschland als beleidigend wahrgenommen würden, dass man sich nicht alle Werke vorab zur Prüfung vorlegen lassen könne etc. erscheinen nach all den Diskussionen im Vorfeld nicht nur mehr als dürftig und ungeschickt, sie sind empörend naiv.

Documenta rechtfertigt umstrittenes Bild

Auf ihrer Homepage listet die Documenta auf, wo das Banner zuvor bereits ausgestellt war, ohne Anstoß zu erregen: Australien, Indonesien, China. Was soll das heißen? Schaut her, anderswo ist man nicht so pingelig?

Mag sein, dass man das Gezeigte anderswo anders interpretiert (auch wenn das im Detail schwer vorstellbar ist). Wie die Lage in Deutschland ist, davon konnten sich alle Beteiligten längst ein sehr genaues Bild gemacht haben. Niemand kann ernsthaft behaupten, er habe nicht gewusst, was Karikaturen wie diese in Deutschland (und darüber weit hinaus) auslösen würden. Zumal die Documenta bisher als wichtigste Kunstausstellung der Welt galt.

Die erste Reaktion der Verantwortlichen, das Bild zu verhüllen, statt es abzumontieren, wäre gar nicht so schlecht gewesen – wenn Taring Padi die Konstruktion mit den dunklen Vorhängen (woher hatte man die eigentlich so plötzlich?) nicht selbstgerecht zum „Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs im Moment“ umgewidmet und damit den Eindruck erweckt hätten, als habe man sich den Auswüchsen einer hysterischen Cancel Culture gebeugt.

„Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann“, schreiben Taring Padi. Für einen zugewandten Dialog ist es mittlerweile ein bisschen zu spät. (Sandra Danicke)

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