Die Macht der Grünen

Der Anhang der Ökopartei bestimmt, wer OB in Frankfurt wird - Mike Josef (SPD) oder Uwe Becker (CDU). Der Leitartikel.
Es wäre übertrieben zu behaupten, Frankfurt stünde vor einer Richtungswahl. Dafür sind sich die beiden Kandidaten um das Amt des Oberbürgermeisters, Uwe Becker (CDU) und Mike Josef (SPD), politisch zu ähnlich. Beide gehen die Probleme der fünftgrößten deutschen Stadt pragmatisch an. Sie sind sich einig darin, dass mehr Wohnraum entstehen muss, vor allem für Menschen mit geringem Einkommen. Beide wissen, dass die Zeiten der autogerechten Stadt vorbei sind. Aber keiner von beiden ist autofeindlich.
Becker protestiert ein wenig mehr gegen Verkehrsversuche, die den Einzelhandel belasten, weil Parkplätze vor den Läden wegfallen. Aber auch Josef sagt, man könne solche Eingriffe in den Straßenraum rückgängig machen. Und persönlich kommen die beiden Männer, die lange im Magistrat zusammengearbeitet haben, gut miteinander klar. Man duzt sich, und auf Podien mussten die Moderatoren und Moderatorinnen oft regelrecht darum bitten, dass sich Becker und Josef auch einmal streiten.
Und dennoch ist diese Wahl am Sonntag interessant. Gewinnt Josef, könnte die im Frankfurter Rathaus amtierende Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt ihre Arbeit ungestört fortsetzen. Manche würden sogar sagen: Sie könnte endlich anfangen zu arbeiten. Denn die Bilanz des Bündnisses ist nicht besonders gut. Zu wenig aus dem viel zu dicken Koalitionsvertrag wurde umgesetzt, was auch daran lag, dass sich die Kommunalpolitiker:innen ständig mit dem früheren Oberbürgermeister Peter Feldmann beschäftigen mussten, der mittlerweile abgewählt und in erster Instanz wegen Korruption verurteilt wurde.
Gewinnt aber Becker, dann geriete die Koalition unter Druck. Dann gäbe es nicht nur die vier Parteien im Bündnis, sondern an der Spitze des Magistrats einen Vertreter der Opposition. Das mögen manche für kommunalpolitische Feinheiten halten, aber die Zeit, als Schwarz-Grün im Römer regierte und Peter Feldmann, damals noch in der SPD, Oberbürgermeister war, war durchaus spannend. Plötzlich wurde etwa ein Mietpreisstopp bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft durchgesetzt, von dem CDU und Grüne lange nichts wissen wollten.
Eine Prognose für diese Stichwahl ist schwer zu treffen. Becker hatte im ersten Durchgang 10,5 Prozentpunkte Vorsprung. Doch das muss nichts bedeuten. Entscheiden werden diese Wahl wohl wieder mal die Grünen. Deren Kandidatin, die Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann, war im ersten Durchgang knapp gescheitert.
Für die Frankfurter Grünen, die zuletzt vier Wahlen in Folge gewonnen hatten, war die Niederlage ein herber Schlag. Nun wird es darum gehen, wie viele Grüne trotz der Enttäuschung zur Stichwahl gehen.
Josef kann darauf hoffen, dass die Basis der Partei immer noch oder wieder mit der CDU fremdelt und einen christdemokratischen Oberbürgermeister verhindern will. Dafür spricht, dass die Partei in den vergangenen Jahren wieder nach links gerückt ist, was an vielen neuen Mitgliedern seit Beginn der Klimaproteste liegt.
Auch Feldmann ging 2012 mit Rückstand in die Stichwahl und hatte seinen Einzug ins Amt den Grünen zu verdanken. Nur: Sein Gegenkandidat war der CDU-Mann Boris Rhein, der damals hessischer Innenminister war und dem der Ruf eines Law-and-Order-Politikers anhing. So einen wollten die Grünen verhindern. Becker hingegen gibt kein Feindbild ab. Viele Leute in Frankfurt halten ihn höchstens für etwas langweilig, weil emotionale Auftritte nicht zu seinem politischen Repertoire gehören.
Wo also stehen die Grünen? Die Antwort wird auch diese Stichwahl geben. Und sie ist vor dem Hintergrund der hessischen Landtagswahl im Oktober interessant. In Wiesbaden arbeiten CDU und Grüne ähnlich geräuschlos zusammen, wie sie es einst in Frankfurt taten. Die beiden Parteien haben sich aneinander gewöhnt, sie lassen sich gegenseitig Spielräume, und vieles spricht dafür, dass sie ihre Koalition fortsetzen würden, wenn sich dafür eine Mehrheit findet.
Doch ist das der Wille der Wählerinnen und Wähler der Grünen? Die sind zum Teil ohnehin schon enttäuscht von ihrer Partei, weil unter grüner Regierungsverantwortung erst im Dannenröder Forst und dann im Fechenheimer Wald im Osten Frankfurts Bäume für eine Autobahn gefällt wurden.
Wenn die grüne Basis nun in Frankfurt in großer Zahl gegen einen CDU-Mann stimmen und einem SPD-Politiker zum Sieg verhelfen sollte, wäre das ein Thema in Wiesbaden. Zumindest bei Boris Rhein, dem Wahlverlierer von 2012, der mittlerweile hessischer Ministerpräsident ist. Und auch bei Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, der für viele linke Grüne in Hessen das Gesicht zum unerwünschten Wandel der Partei ist.
Uwe Becker oder Mike Josef – mehr als eine halbe Million Frankfurterinnen und Frankfurter haben am Sonntag die Wahl. Entschieden wird diese Abstimmung aber wohl in den Kneipen und Stadtteiltreffs im Nordend, in Bornheim und in Bockenheim, wo viele Grüne darüber sprechen, ob sie dem nächsten CDU-Kandidaten eine Niederlage verpassen wollen. Berichte Lokales