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Chinas Lavieren in der Russland-Politik

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Von: Fabian Kretschmer

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Chinas Außenminister Wang Yi.
Chinas Außenminister Wang Yi. © Ji Chunpeng/Imago Images

Peking kann kein neutraler Vermittler sein. Die Regierung will von Sanktionen gegen Russland profitieren und wird aus dem Ukraine-Krieg Schlüsse für ihre Taiwan-Politik ziehen. Der Leitartikel.

Mit einer gehörigen Portion Selbstverliebtheit trat Chinas Außenminister Wang Yi am Samstag (19.03.2022) vor die Presse. Dabei behauptete der Spitzendiplomat vollmundig, dass sein Land in der Ukraine-Krise „auf der richtigen Seite der Geschichte“ stehe. Doch Fakt ist: Chinas Diplomaten vermeiden es weiterhin, Russland überhaupt als Aggressor zu benennen. Die Invasion in der Ukraine ist für viele nach wie vor eine „spezielle Militäroperation“. Insofern steht die Volksrepublik derzeit vor allem an der Seite eines Paria-Staats.

Viele Politikerinnen und Politiker in Brüssel hängen nach wie vor der naiven Vorstellung an, dass Staatschef Xi Jinping als neutraler Vermittler zwischen den Fronten agieren könnte. Jene Analyse fußt darauf, dass das Reich der Mitte als mit Abstand wichtigster Handelspartner Russlands den größten Einfluss auf Wladimir Putin hat.

Ukraine-Krieg: China versucht, seine Haltung vage zu halten

Doch mittlerweile wird immer deutlicher, dass Peking seine Macht keineswegs gegen den strategischen Partner im Kreml nutzen wird. Wieso auch? Politisch eint die zwei autokratischen Führer Xi und Putin eine ganze Menge: Sie lehnen die Wertevorstellungen des Westens ab, wollen die Hegemonie der USA beenden und deren Militärbündnisse zurückdrängen.

Dass trotz allem Unklarheit über Chinas Positionierung herrscht, ist vor allem Pekings Herumlavieren geschuldet. Mit hohlen Phrasen und teils widersprüchlichen Aussagen versucht die Volksrepublik, ihre Haltung vage zu halten. Das hat einen trivialen Grund: China ist ein risikoscheues System, das kein Interesse hat, sämtlichen Wetteinsatz auf eine Karte zu setzen.

Dabei sind die Kader in Peking tief in jener „Kalter- Krieg“-Mentalität verhaftet, die sie ironischerweise der Regierung in Washington vorwerfen. Sie haben längst aufgegeben, sich langfristig mit dem Westen gemeinzumachen. Denn dieser würde den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Chinas an die Weltspitze niemals dulden.

Die Interessen Chinas liegen näher bei Russland, als Europa annimmt

Mit Russland hingegen teilt man die gemeinsame Weltsicht. Dennoch ist die Beziehung zwischen Peking und Moskau vor allem eine pragmatische Zweckbeziehung. Historisch haben sich die Staaten nämlich stets misstraut. Noch während der 1960er Jahre gab es zu Sowjetzeiten blutige Grenzkonflikte, die beinahe in einen heißen Krieg ausgeartet wären. Und bis heute besteht keine organisch gewachsene Völkerfreundschaft.

Doch ein System wie China kennt per Definition keine echten Freundschaften, sondern sieht ausschließlich die eigenen Interessen. Und diese liegen näher bei Russland, als wir in Europa annehmen: Zum einen wird der jetzige Ukraine-Konflikt dazu führen, dass Moskau wirtschaftlich vollends von Pekings Gunst abhängen wird. Die russischen Energielieferanten werden ihr Gas und Öl aus Mangel an Alternativen zu Sonderkonditionen ins Reich der Mitte exportieren.

Ukraine-Krieg: Für China eine Fallstudie für Taiwan

Peking wird versuchen, die wirtschaftlichen Folgekosten so gering wie möglich zu halten. Bislang sind chinesische Firmen nicht ins Visier der westlichen Sanktionen geraten. Und auch europäische Unternehmen mit Präsenz in China werden nicht plötzlich vom weltweit größten Wachstumsmarkt abziehen. Denn wenn es ihnen wirklich um moralische Werte ginge, hätten sich zumindest einige von ihnen spätestens im Zuge der Menschenrechtsverbrechen in der muslimischen Provinz Xinjiang kritisch zu Wort gemeldet. Gleichzeitig ist für China der russische Einmarsch in die Ukraine eine hochinteressante Fallstudie: In Echtzeit können die Parteikader in Peking beobachten, welche Folgen eine völkerrechtswidrige Annexion haben wird. Was sie zu sehen bekommen, und das ist durchaus eine gute Nachricht, dürfte eine baldige Invasion der „abtrünnigen Provinz“ Taiwan unwahrscheinlicher werden lassen.

Militärisch lassen sich zwar kaum Parallelen zwischen beiden Konflikten ableiten, schließlich ist Taiwan eine Insel, die flächenmäßig nur etwa ein Zwanzigstel der Ukraine umspannt. Doch beide Male geht es um einen demokratischen Staat, der einem scheinbar übermächtigen autokratischem Nachbarn gegenübersteht. Zum einen wird Peking zu denken geben, dass die ukrainische Bevölkerung entgegen den Erwartungen tapferen Widerstand leistet. Ebenfalls schaut man innerhalb Chinas Führung mit Argusaugen auf den Informationskrieg zwischen den zwei Ländern, den die Ukraine unter Präsident Wolodymyr Selenskyj auf ganzer Linie gewinnt. (Fabian Kretschmer)

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