China-Strategie fehlt

Der Streit über Macrons Äußerungen zu Taiwan und den USA verdeutlicht, wie uneins die EU-Staaten bei all diesen Fragen noch sind. Der Leitartikel.
Die Kritik an dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dessen politische Äußerungen zu Taiwan, China und den USA ist im Detail zwar berechtigt. Schließlich ist die Frage des Status quo Taiwans sehr wohl im Interesse Europas. Und auch die transatlantischen Beziehungen sind komplexer als Europa verbal zum Vasallen der USA zu machen. Und doch verdeutlicht der Streit einmal mehr, wie weit die EU-Staaten von einer eigenständigen und gemeinsamen China-Strategie entfernt sind.
Das ist ein Grund dafür, dass Reisen von europäischen Politikerinnen und Politikern regelmäßig harsch kritisiert werden. Das war bei der jüngsten Reise von Kanzler Olaf Scholz so oder eben bei der Visite Macrons. Und es wird vermutlich nicht viel anders bei dem Peking-Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock.
Denn der alte Kontinent hat lange die Sicherheit an die USA ausgelagert, das exportbedingte Wirtschaftswachstum an China und den Energiebedarf an Russland. Letzteres hat die EU seit Putins Krieg gegen die Ukraine schon dramatisch verändert. Und für China haben sie seit 2019 immerhin erkannt, dass das Land Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale ist und damit immerhin das komplexe Verhältnis zu Peking beschrieben. Doch haben sie vergessen, diese Beschreibung mit Leben zu füllen.
Doch noch ist nicht bei allen politisch Verantwortlichen in den Hauptstädten klar, dass beispielsweise Taiwan durchaus eine Frage für Europa ist. Denn sollte China tatsächlich den Status quo ändern wollen und dafür nicht nur militärisch üben, dann entstünde ein gigantischer wirtschaftlicher Schaden für alle Staaten der Welt, der auf 2000 Milliarden Dollar geschätzt wird. Schließlich schlägt in Taiwan das Herz der Industrie für Mikrochips.
Außerdem leben dort einige Tausend Menschen aus Europa. Was soll im Fall des Falles mit ihnen passieren? Und zu guter letzt würde erneut das Völkerrecht mit Füßen getreten und die regelbasierte Werteordnung obendrein. Wenn man das verhindern will, muss man es zu einem politischen Ziel erklären und sagen, wie man China daran hindern will.
Hätten Deutschland und die anderen EU-Staaten sich auf eine gemeinsame Position zu Taiwan verständigt, würde es auch leichter fallen, die China-Politik der USA zu unterstützen, zu kritisieren oder auch eigene Interessen zu formulieren und umzusetzen.
Und die Ampelregierung muss klären, ob sie eher eine werteorientierte Politik gegenüber China verfolgen will wie Außenministerin Annalena Baerbock oder eine wirtschaftsorientierte Politik gegenüber China wie es offenbar Kanzler Olaf Scholz möchte. Doch bisher ist die Ampelkoalition in diesem Bereich nicht über erste Ansätze hinausgekommen.
Vorschläge von Wirtschaftsminister Robert Habeck sind wieder einkassiert worden. Er wollte, dass die Bundesregierung nicht mehr für Wirtschaftsprojekte in der Volksrepublik bürgt, chinesische Firmen von kritischer Infrastruktur Deutschlands fernhalten und China nicht länger als Entwicklungsland fördern. All das stößt an Grenzen. Erinnert sei daran, dass beispielsweise Volkswagen-Konzern die Hälfte seiner Gewinne in China macht, so relativieren sich Habecks Vorschläge, aber auch das vielzitierte Ziel, sich unabhängiger vom Handeln mit China machen zu wollen.
Ein weiteres großes Aufgabengebiet für Europa ist die Frage, wie mit China zusammen der weltweite Klimaschutz vorangebracht werden kann. Ohne Peking wird das 1,5-Grad-Ziel jedenfalls nicht erreicht werden können. Doch bislang hinkt China seinen Zielen ähnlich hinterher wie die USA, Indien und eben die EU.