Boris Johnson und das Party-Gate: Der letzte Skandal des Populisten?
Der britische Premier Boris Johnson hat schon einige Affären überstanden. Doch nach der Gartenparty ist einiges anders als zuvor. Der Leitartikel.
Frankfurt am Main - Lügen haben kurze Beine, heißt es. Schön wär’s ja, nur spricht die Realität oft eine andere Sprache. Siehe Boris Johnson. Nun kennt wahrscheinlich niemand außer seinem Schneider die Körpermaße des britischen Premiers. Was Anzahl und Ausmaß der Lügen angeht, die Johnson seit Jahren verbreitet, müssten deren Beine ellenlang sein. Fragt sich nur: Wie konnte der Mann so ausdauernd darauf stehen, ohne ernsthaft zu wanken?
Im politischen Geschäft unter demokratischen Vorzeichen wirken gemeinhin drei Antriebskräfte: Vernunft, Interessen und Leidenschaften. Nicht so bei Populisten à la Johnson. Sie haben die Vernunft in Quarantäne geschickt. Die deliberative Demokratie, in der Verständigung durch den diskursiven Austausch von Argumenten erzielt werden soll, wird von ihnen zum Feind erklärt.

Boris Johnson: Eine Mischung aus Pumuckl und Churchill
Zu blutleer, nicht massentauglich. Schließlich soll es nicht um Inhalte gehen, emotionale Energien sollen freigesetzt werden. In den so geschaffenen, vernunft- und faktenbereinigten Raum, lässt sich politisch leicht vorstoßen – selbst mit dem größten und gefährlichsten Unsinn. In diesem Raum hat die Wahrheit dann Hausverbot und alles ist möglich, weil alles beliebig ist. Grenzen? Welche Grenzen?
Niemand unter den herrschenden Populisten hat dieses Spiel leichtfüßiger und amüsanter betrieben als Boris „Bojo“ Johnson. Er käme wie eine Mischung aus Pumuckl und Churchill daher, sagte ein Journalist im Deutschlandfunk. Wo immer Johnson auch auftrat – er lachte, spielte den Narren, war immer zu einem Witz aufgelegt. Vom wirren Haar bis zum verwurstelten Hemd ein gnadenloser Selbstvermarkter, ein skrupellos verführerisches Showtalent. Und ein pathologischer Lügner. Seine Unheil stiftenden Blendwerke haben die britische Insel zerrüttet.
Boris Johnson und seine Märchengeschichten
Dabei mag ja noch lustig sein, dass er als Korrespondent in Brüssel ein Märchen über EU-Normgrößen von Kondomen verzapfte. Schon weniger lustig war, dass er fälschlich einen armen Räucherfisch missbrauchte, um den europäischen Verpackungsirrsinn anzuprangern. Gemeingefährlich wurden seine betrügerischen Behauptungen spätestens dann, als er der britischen Öffentlichkeit einhämmerte, das Königreich könne beim Austritt aus der Europäischen Union 350 Millionen Pfund wöchentlich sparen – egal wie oft ihm die Statistikbehörde widersprach.
Mit seinem jovial verpackten Vernichtungsfeldzug gegen den Verstand hat Boris Johnson Mehrheiten für die Konservativen geholt, ist in Nr. 10, Downing-Street, eingezogen und hat seinem Land nach dem vollzogenen Brexit ruinöse wirtschaftliche und gesellschaftliche Verwerfungen beschert. Und die Brit:innen haben es mitgemacht. Die Lügen sind das, was die Leute wollten. Zumindestens Johnsons Partei und seine Fans.
Boris Johnson war für die Torys wichtig
Den Torys in Großbritannien waren die Mittel egal, mit denen er ihnen die Macht verschaffte. Und in der Bevölkerung wurde er von Menschen bewundert, die sich nach einem Ausbruch aus der rationalen politischen Ordnung sehnten. Denn die war in deren Augen weder rational noch in Ordnung, weil sie sich darin nicht wiederfanden – nicht mit ihren Anliegen, nicht mit ihren Ängsten. Johnson war der radikale und zudem noch unterhaltsame Gegenpol. Er kreierte eigene, von der empirischen Welt abgekoppelte Wahrheiten, gab sich volksnah und lieferte die passende Erzählung: Alles Übel liegt an Europa!
Mithin lässt sich der Populismus à la Johnson auch als Fluchtgeschichte erzählen. Gibt es ein augenfälligeres Beispiel für Eskapismus als den Brexit? Der Politiker sammelte Menschen, die den Zumutungen der Welt entkommen wollten. Er war der Schlepper, der ihnen ein anderes Leben versprach und sie dafür teuer bezahlen ließ.
Borsi Johnson: Party-Gate, Wallpaper-Gate, Sleaze-Gate
Doch so wie viele Geflüchtete brutal an den Grenzen ihrer Wunschländer scheitern, prallt der britische Fluchtkonvoi nun auf die Grenzen der Wirklichkeit. Die Insel ist wütend. Und fühlt sich getäuscht. Dabei ist es ja nicht so, dass bei den Boris-Fans der Verstand eingekehrt wäre. Es sind die Gefühle. An ihren Gefühlen hatte er sie gepackt und jahrelang damit gespielt. Ihre Gefühle werden ihm nun über kurz oder lang den Hals brechen.
Der Schmerz, auf die Begleitung der Liebsten beim Sterben verzichtet zu haben, während der Premier und seine Hofschranzen tanzten. Das herzzerreißende Bild der einsamen Queen, die bei der Beerdigung ihres Gatten Philip allein in der Kapelle sitzen musste, während Downing Street Party machte. Die emotionale Empörung hat viele Brit:innen zurück in die Wirklichkeit katapultiert.
Party-Gate, Wallpaper-Gate, Sleaze-Gate. Hübsche Namen für hässliche Skandale des Bruder Leichtfuß. Johnsons Verhalten sei „widerwärtig“, „verachtenswert“ geben Bürger:innen zu Protokoll. Der Premier sei eine „absolute Schande“, titelt der Daily Mirror. Ein „inkompetenter Gauner“ schreibt der The Guardian. Wenn die gute alte Monty Phyton-Truppe die Geschichte inszeniert hätte, könnten wir am Ende wenigstens lachen. (Bascha Mika)