Es gab ja genügend Themen. Es ist zwar richtig, dass manches Klischee über das dysfunktionale Berlin überzogen ist. Aber viele Probleme Berlins sind gewaltig, wie die horrenden Mietsteigerungen in den vergangenen Jahren, die chronisch überforderten Behörden sowie die regelmäßigen Verkehrsinfarkte entlang der Stadtautobahn A100. Die Verwaltung muss weiter digitalisiert und das „Behörden-Pingpong“ abgestellt werden. Bislang stellen sich die Haupt- und Bezirksverwaltungen gegenseitig Beinchen. Dass sich der Senat jüngst in den Eckpunkten auf eine Reform verständigt hat, ist gut, kam für die Wahl aber viel zu spät. Hängen bleibt nur, Berlin kann es nicht - und braucht einen Neustart.
Trägt dieser Neustart den Namen Kai Wegner? Der CDU-Spitzenkandidat ist nicht gerade mit politischem Charisma gesegnet, aber er hat seinen Law-and-Order-Wahlkampf für viele Menschen glaubhaft verkörpert. Nach den Silvesterkrawallen wollte die CDU die Vornamen der Tatverdächtigen wissen - um Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten zu machen. Dass mit solchen Methoden Wahlen gewonnen werden können, ist bitter, aber dürfte gerade aus hessischer Perspektive nicht überraschen. Den Weg zu einer modernen liberalen Großstadtpartei geht man so jedoch nicht.
Wegner pocht nach diesem Abend auf den Regierungsauftrag, auch wenn klar ist: Einen solchen Automatismus gibt es in unserem parlamentarischen System nicht. Wer Mehrheiten schmieden kann, stellt die Regierungschefin - so ist es auch in Berlin. Politisch-moralisch aber wird es schwer für Giffey, ihren persönlichen Regierungsauftrag durchzusetzen, der nur daraus bestünde, dass der Wahlsieger anderweitig keine Partner finden würde. Für die SPD-Spitzenkandidatin wäre es vielleicht besser, für eine Zeit der Selbstreinigung in die zweite Reihe zurückzutreten. Ob es dann Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot wird, bleibt abzuwarten. Auch eine Neuauflage der jetzigen rot-grün-roten Koalition ist rechnerisch möglich.
Dritte Erkenntnis am Wahlabend: Für die Ampel-Parteien im Bund ist die Berlin-Wahl eine pauschale Klatsche. Neben der SPD ganz besonders für die FDP, die nach Niedersachsen aus einem weiteren Landesparlament fliegt. Für sie geht es an die politische Existenz. Ihr Spitzenkandidat in Berlin, Sebastian Czaja, kann sich hierbei direkt am Familientisch bei seinem älteren Bruder Mario Czaja bedanken. Der ist Generalsekretär der CDU und hat direkten Draht zu Friedrich Merz.