Asylrecht verteidigen: Verfahren dürfen nicht an die Außengrenzen Europas verlagert werden

Deutschland darf die Verfahren nicht an die Außengrenzen verlagern. Die Länder haben gezeigt, dass sie rechtmäßigen und humanitären Regeln nicht umsetzen. Der Leitartikel.
Es gibt in diesen Tagen der Asyldebatte gute Gründe, die Bundesregierung an die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu erinnern. Da wurde Griechenland zur Rechenschaft gezogen, weil es eine schwangere Frau aus Ghana in einem Zelt hat leben lassen, weil im Lager auf Samos nicht genug Platz war. Italien wurde verurteilt, weil es Männern aus Tunesien auf der Insel Lampedusa keine menschenwürdige Unterbringung zur Verfügung stellte.
Dies sind nur zwei von vielen Fällen, die für ein System der Abschreckung durch unmenschliche Behandlung stehen. Allen Bekenntnissen zu europäischen Werten zum Trotz ist nichts daran besser geworden.
Trotzdem strebt die Ampel-Regierung nach Angaben von Innenministerin Nancy Faeser an, dass Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen erfolgen sollten. Das wäre ein Hohn für alle menschenrechtlichen Versprechen der Ampelparteien. Im Koalitionsvertrag haben sie festgehalten, Asylverfahren müssten „fair, zügig und rechtssicher“ ablaufen. Man wolle für „qualitativ hochwertige Entscheidungen“ sorgen. Von derartigen Entscheidungen kann in vielen Staaten an den europäischen Grenzen keine Rede sein. Erst recht, wenn jetzt noch Schnellverfahren eingeführt werden sollen für diejenigen, die aus bestimmten Staaten kommen. Es ist kein Wunder, dass Innenministerin Faeser Gegenwind von den christlichen Kirchen entgegenweht.
Theorie und Praxis: Vieles läuft an den Außengrenzen Europas falsch
Wer auf der Flucht die europäische Außengrenze erreicht, merkt sehr schnell, dass er hier nicht willkommen ist. Illegale Pushbacks, die oft tödlich enden, sind vielfach dokumentiert. Die Missstände an den europäischen Außengrenzen sind seit Jahren bekannt. Der Unwillen von Regierungen etwa in Athen und Rom, daran etwas zu ändern, ist offenkundig. Und nun sollen sie bereit sein, faire Asylverfahren zu gewährleisten und die ankommenden Menschen würdig unterzubringen? Bisher jedenfalls haben die Länder an den Außengrenzen gerne die hohen Millionensummen aus Brüssel genommen, ohne dafür ein akzeptables Aufnahmesystem aufzubauen. Es gibt keinen Grund dafür, sie dafür auch noch zu belohnen.
In der Theorie einer überall gleichermaßen rechtsstaatlichen und humanitären Europäischen Union könnte es sinnvoll erscheinen, gemeinsame Asylverfahren an den Außengrenzen einzuführen. Daher hat die EU vor langer Zeit sogenannte „Hotspots“ konzipiert – Camps, in denen Menschen bleiben müssen, ehe geprüft ist, ob ihr Asylantrag Aussicht auf Erfolg hat.
In der Praxis sind Lager entstanden, in denen Menschen unter haftähnlichen Bedingungen miserabel behandelt werden, ohne dass die Zivilgesellschaft geregelten Zugang hätte. Auch die Erwartung einer zügigen Rückführung scheitert, etwa an Herkunftsstaaten, die sich weigern, ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufzunehmen.
Flüchtlingspolitik: Die Unwilligkeit an den Außengrenzen Europas
Wie flüchtlingsfeindlich die Politik etwa von Italien oder Malta ist, zeigt sich an ihrer Unwilligkeit, Schiffe mit Menschen an Land zu lassen, die aus dem Mittelmeer gerettet wurden. Niemand kann davon ausgehen, dass sie bereit wären, mehr Menschen für eine längere Zeit bei sich aufzunehmen. Das aber wäre die Voraussetzung dafür, dass Deutschland seine grundgesetzliche Verpflichtung zum Gewähren von Asyl an die europäische Außengrenze auslagern könnte.
Das Ziel, Verfahren in den Grenzstaaten zu etablieren, dient auch nicht dem Kampf gegen Schleuserbanden, im Gegenteil: Die flüchtenden Menschen wären noch dringender auf diejenigen angewiesen, die gegen Geld sichere Fluchtrouten organisieren, um Schnellverfahren an den Außengrenzen zu entgehen.
Noch abenteuerlicher sind die Überlegungen, dass Betroffene ihre Asylverfahren aus weit entfernten Staaten verfolgen sollen. Das Beispiel Großbritanniens, das auf diese Weise mit Ruanda kooperiert, ist in jedem Sinne abschreckend.
Wer Flucht verringern will, muss Fluchtgründe bekämpfen
Wie sagte Innenministerin Faeser so klar im FR-Interview vor einem halben Jahr? „Wir drängen darauf, dass die Menschenrechte geschützt werden. Und wir wehren uns gegen jede politische Instrumentalisierung von Menschen, die Schutz vor Krieg und Terror suchen. Sie dürfen nicht zum Spielball werden.“ So ist es – und so muss es bleiben. Grüne dringen zu Recht darauf. Man kann nur hoffen, dass sie in dieser neuen Ampel-Debatte das Schlimmste verhindern.
Es spricht viel dafür, dass Faeser vor allem innenpolitische Gründe für ihre Äußerungen hat. Kurz vor dem bundesweiten Asylgipfel will sie den Kommunen signalisieren, dass sie sich ernsthaft bemüht, die Zahl der Menschen zu verringern, die in die Bundesrepublik kommen. Doch Haftlager in Italien, Spanien oder Griechenland können nicht die Lösung sein.
Wer Flucht verringern will, muss Fluchtgründe bekämpfen. Doch selbst dann bleibt die Tatsache: In einer Welt der Kriege, der Armut und des Klimawandels werden die reichen und demokratischen Staaten ein Zufluchtsort bleiben. Darauf muss sich die Politik in Deutschland und Europa einstellen. (Pitt von Bebenburg)