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Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg: An der roten Linie

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Von: Bascha Mika

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Rafale-Kampfjet vor seinem Nato-Einsatz zum Schutz des Luftraums der baltischen Staaten.
Rafale-Kampfjet vor seinem Nato-Einsatz zum Schutz des Luftraums der baltischen Staaten. © Thibaud Moritz/dpa

Der Ruf der Ukraine nach weiteren Waffenlieferungen in Form von Kampfjets ist verständlich. Aber Deutschland darf ihm nicht nachgeben.

Es ist ein grauenhaftes Szenario, das Helmut W. Ganser, Brigadegeneral a.D., im „Journal für Internationale Politik und Gesellschaft“ entwirft. Die Lieferung der Leopard-2-Panzer an die Ukraine hebe das westliche Engagement auf eine neue Stufe, so der General. Und dann spielt er durch, zu welchen „gravierenden Eskalationsrisiken“ es dadurch im russischen Angriffskrieg kommen kann.

Doch während Profis wie Ganser noch analysieren, wie Kampfpanzer die Nato immer tiefer in die Ost-West-Fehde verstricken, ist die Kriegskarawane rhetorisch schon weitergezogen. Nach der Waffenzusage ist vor der Waffenzusage. Auch diesmal dauert es nur wenige Stunden, bis dieser Kanon erneut angestimmt wird: Präsident Selenskyj fordert Kampfflieger für sein Land.

Frankreich und Polen zeigen sich dafür offen. Ebenso der EU-Außenbeauftragte Borrell. Die FDP will Zusagen nicht ausschließen. SPD-Chefin Esken ebenso wenig. Der Dschinn aus der Flasche heißt jetzt Kampfjets, und Kanzler Scholz schaut hilflos auf die Debatte, die sich nicht einfangen lässt und ihm keineswegs passt.

Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg – Keine Bedrohungsnarrative bedienen

Denn völlig zu Recht markiert Scholz eine „rote Linie“, die er durch die Lieferung von Kampffliegern nicht überschreiten will. Bislang lässt sich argumentieren, dass das an die Ukraine gelieferte Kriegsmaterial nur der Verteidigung dient und dazu, von Russland eroberte Gebiete zurückzugewinnen. Doch sobald Nato-Waffen nicht mehr verteidigen, sondern den Krieg über die Grenze nach Russland tragen können, ist der entscheidende Unterschied da. Schon der Leopard ist in dieser Hinsicht ein trojanisches Pferd, wie Brigadegeneral Ganser mahnt. Noch einfacher lassen sich Kampfjets als Angriffswaffe nutzen.

Westliche Waffen, die in Russland angreifen, zerstören, vernichten? Fände der Kampf auf russischem Boden statt, wäre es ein anderer Krieg. Das Bedrohungsnarrativ, mit dem Putin seine Bevölkerung füttert, die Erinnerung an den „großen vaterländischen Krieg“, bekäme sofort eine reale Basis. Was würde den von imperialem Wahn befallenen Autokraten dann noch abhalten, Nato-Staaten zu direkten Kriegsgegnern zu erklären? Ein Horrorszenario, sollte sich die Aussage von Außenministerin Baerbock bewahrheiten, dass „wir“ – sprich der Westen – einen „Krieg gegen Russland“ führen.

Selbstverständlich beteuert der ukrainische Präsident, auch Kampfflugzeuge nur zur Verteidigung nutzen zu wollen. Doch sein Land ist in größter Not und verständlicherweise liegt es in seinem Interesse, dass die Nato Kriegspartei wird. Im Interesse seiner westlichen Partner darf das keineswegs sein, soll nicht die Welt in Flammen aufgehen.

Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg – Gefährliche Reduktion von Komplexität

Dass die Ukraine Leopard-Panzer braucht, um sich der russischen Aggression zu erwehren, haben die meisten Deutschen zähneknirschend akzeptiert – und gleichzeitig ihrem Kanzler seine zögerliche Entscheidung hoch angerechnet. Doch jetzt soll Schluss sein, findet die Mehrheit. Die Angst, dass der Krieg sich ausweitet, dominiert die Stimmungslage der Nation. Auch Ministerin Baerbock bekommt es zu spüren: Als ihr am Wochenende in Aachen der „Orden wider den tierischen Ernst“ verliehen wird, wollen die Menschen vor dem Festsaal nicht mit ihr Karneval feiern, sondern gegen Waffenlieferungen protestieren.

Selbst in der veröffentlichten Meinung mehren sich entsprechende Bedenken. Doch wie seit Monaten vertritt ein Großteil der Presse und Teile der Politik die Ansicht, es gebe nur einen richtigen Weg: Weiter so! Mehr von allem. Putins Propaganda- und Drohrepertoire sei hinlänglich bekannt und demnach zu ignorieren. Gemeinhin nennt man so etwas Hybris. Die extrem heiklen Entscheidungen über Waffentransfers, die quälende Frage, ob diese den Krieg tatsächlich schneller beenden können, die Furcht, dass der Westen fast zwangsläufig Schritt für Schritt in eine global bedrohliche Lage schliddert – dies nicht als brisante Gemengelage anzusehen, ist eine gemeingefährliche Reduktion von Komplexität.

Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg – Bevölkerung gegen vorschnelle Schlüsse

Ähnliches ist in der Bevölkerung allerdings nicht zu beobachten. Der Sozialpsychologe Johannes Ullrich hat festgestellt, wie stark die Ambivalenzen sind, wie sehr viele Menschen hin- und hergerissen sind zwischen dem Für und Wider. Diese begrüßenswerte „Ambiguitätstoleranz“ bewahre vor Schwarz-Weiß-Denken und vorschnellen Schlüssen.

Angesichts dieser hohen gesellschaftlichen Bereitschaft, die Dinge abzuwägen, muss die Politik die rote Linie um so ernster nehmen: keine Kampfflugzeuge an die Ukraine! Sicherheitspolitik ist eben mehr als die Verteilung von Waffen. An einem möglichen Ende des Krieges muss auf allen Ebenen gearbeitet werden – sicherheitspolitisch, diplomatisch und ökonomisch. Um das zu begreifen, braucht es noch nicht einmal Ambiguitätstoleranz. (Bascha Mika)

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