Ukraine-Krieg: Trotz Russlands Aggression am Frieden arbeiten

Russlands Aggression gegen die Ukraine gibt denen Auftrieb, die Stärke mit Militärmacht gleichsetzen. Doch die Kriegslogik ist nicht alternativlos. Der Leitartikel.
Frankfurt – Russlands Aggression im Ukraine-Krieg gibt denen Auftrieb, die Stärke mit Militärmacht gleichsetzen. Doch die Kriegslogik ist nicht alternativlos. Es ist eine Leidensgeschichte, die an Karfreitag erzählt wird. Eine Geschichte von Macht, Gewalt, Feigheit und Verrat, an deren Ende der Tod steht. Jesus von Nazareth scheitert mit seiner Friedensbotschaft und endet am Kreuz, weil sich die Herrschenden von ihm bedroht sehen und ihn die Beherrschten als Ketzer verteufeln. Doch Jesus scheitert nicht nur an den Menschen, sondern auch an Gott. Der zwingt ihn, Folter und Sterben anzunehmen – trotz allen Flehens. Es ist das Unausweichliche, das hier demonstriert wird, damit sich die Bestimmung erfüllt. So weit das christliche Narrativ.
Zweitausend Jahre später können wir uns nicht mehr mit Gott und dem Schicksal herausreden, wenn wir Leiden und Tod verursachen. Es gibt keine Zwangsläufigkeit der menschengemachten Geschichte. Hat es nie gegeben. Wir treffen Entscheidungen. Der Engel der Geschichte mag vom Sturm aus dem Paradies unaufhaltsam vorangetrieben werden – während sich hinter ihm die Trümmer türmen. Doch wer gibt ihm denn den Weg vor? Und wer bestimmt, dass hinter ihm nur Zerstörung bleibt?
Russlands Ukraine-Krieg löst im Westen eine Militarisierung des Denkens aus
Es gibt keine Zwangsläufigkeit der Geschichte. Dennoch scheint der Krieg in der Ukraine mit einer Unvermeidlichkeit abzulaufen, als folge er einem altbekannten grausamen Skript. Als würde sich das Rad der Geschichte unerbittlich in immer die gleiche Richtung bewegen. Wladimir Putins Geschichtsklitterung und die Dämonisierung der Ukraine als ideologischer Auftakt. Dann Überfall, Bomben, Verheerung der Städte, Vertreibungen, Vergewaltigungen, Massaker an Zivilist:innen. Zug um Zug ein Ablauf, bekannt nicht nur aus Aleppo und Grosny. Tausende Tote, Millionen Geflüchtete, möglicherweise Giftgas – Kriegsverbrechen. Chronik einer unaufhaltsam erscheinenden Eskalation, wie abgeschrieben aus dem Handbuch des Unmenschen.
Zug um Zug auch die Reaktion des Westens. Da werden Sanktionsschrauben angezogen, Drohkulissen verschärft, Truppen an die Nato-Ostgrenzen verlegt, russische Künstler- und Wissenschaftler:innen geächtet, Aufrüstung beschlossen, die Militarisierung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik vorangetrieben. Und mit ihr eine Militarisierung des Denkens, die von weiten Teilen der Politik und vielen Medien unterstützt und verbreitet wird. Begründung: Nach der Zäsur durch Putins Angriff bleibe nur die Einsicht, dass alles einer neuen Logik zu folgen habe. Einer Logik, die ihre eigenen, zwangsläufigen Abläufe in sich trage. Schließlich sei Krieg und deshalb nichts mehr wie vorher.
Ukraine-Krieg – Rückwärtsgewandte Muster aus Russland
Doch das Gegenteil ist der Fall. Nichts an diesem Szenario ist neu, es folgt einem allzu bekannten, rückwärtsgewandten Muster. Neu waren vielleicht die wenigen Jahre relativer Entspannung nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs. Doch nun haben wir einmal mehr die Erfahrung gemacht, dass für den Frieden dasselbe gilt wie für die Demokratie: Immer wenn man sich seiner sicher glaubt, ist er am stärksten bedroht. Denn alles scheint darauf abzuzielen, dass sich die Geschichte auf schrecklichste Weise ein ums andere Mal wiederholt. Dass es genau so abläuft wie immer, wenn die Politik versagt, von imperialem Wahn befallene Diktatoren kriegslüstern werden und alles in einen Strom der Gewalt zu versenken drohen.
In dieser Lage ist plötzlich möglich, was lange undenkbar war. Dass der Bundestag sich zu Standing Ovations hinreißen lässt, weil der Kanzler, Olaf Scholz, mehr Waffen verspricht. Oder dass ein Ex-Nato-General sich öffentlich zwar Gedanken zur „Rechtslage“ beim Bündnisfall macht, das Grauen eines 3. Weltkriegs aber nicht thematisiert.
Russland: Putins Verbrechen im Ukraine-Krieg machen und nicht alternativlos
Lange Jahre war Deutschland zurecht stolz darauf, dass es in Krisen auf Diplomatie und eine Kultur der militärischen Zurückhaltung setzte. Dies hat keineswegs allen gepasst, schon gar nicht denjenigen, die internationale Stärke mit der Schlagkraft von Armeen verwechseln. Dank Putin sind diese Falken nun wieder wer, in der Politik und der Öffentlichkeit. Und prompt so dominant, dass selbst Wolfgang Ischinger, langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, vor „Kriegseuphorie“ warnt, weil „wir Deutschen leider bekanntlich zu Extremen neigen“.
Wer mit Abscheu und Verzweiflung auf Putins Verbrechen blickt, doch auch mit Schrecken auf die sogenannte Zeitenwende im Westen, scheint vom unaufhaltsamen Gang der Geschichte überrollt zu werden. Doch auf Karfreitag folgt Ostern und damit verbunden die Botschaft: Euer menschengemachtes Leiden ist eine Monstrosität, weder von Gott noch dem Schicksal vorgegeben.
Von einem Schlächter wie Putin ist kein Einlenken zu erwarten. Doch es muss einen Weg aus der Zwangsläufigkeit geben. Wir müssen den Frieden wollen! Mehr wollen als militärische Stärke und das alte, zerstörerische Skript von Dominanz und kriegerischer Gewalt. (Bascha Mika)