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Nemi El-Hassan und der Nahostkonflikt: Wie der deutsche Diskurs schnell toxisch wird

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Von: Inge Günther

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Moderatorin Nemi El-Hassan.
Moderatorin Nemi El-Hassan. © Tilman Schenk/dpa

Der Fall Nemi El-Hassan zeigt, wie schwer es für eine Palästinenserin ist, gegen eine rechte Hetzkampagne zu bestehen. Die Kolumne.

Die Sache ist gelaufen. Den Job beim WDR, der sie zum frischen Gesicht der Wissenschaftssendung „Quarks“ auserkoren hatte, hat Nemi El-Hassan abgehakt. Entnervt von wochenlanger, via „Bild“ angeheizter Aufregerdebatte war die 28-Jährige schließlich in die Offensive gegangen.

In einem sehr lesenswerten Gastbeitrag für die „Berliner Zeitung“ unter dem Titel „Ich bin Palästinenserin – deal with it“ setzte sich El-Hassan zur Wehr. Gegen eine von rechtsaußen-Kreisen angefütterte Hetzkampagne, sie zu demontieren und in die islamistisch-antisemitische Ecke zu stellen. Der WDR sei davor leider eingeknickt.

Für Intendant Tom Buhrow gab das den Ausschlag, endgültig den Daumen zu senken. Mangels Vertrauensbasis komme ihre Anstellung nunmehr weder vor noch hinter der Kamera infrage. Kurzum: Die Frau, obgleich als Ärztin und preisgekrönte Nachwuchsjournalistin hoch qualifiziert, ist ihm zu kontrovers, zu wenig anpassungsfähig, zu „outspoken“.

Nemi El-Hassan als verkappte Antisemitin hingestellt

Aber die Frage bleibt, ob junge Menschen mit arabischen Wurzeln der hierzulande maßgeblichen Political Correctness genügen müssen, wenn sie in Deutschland etwas werden wollen. Und sie stellt sich auch jenseits von Fernsehkarrieren. Das fängt schon in der Schule an.

Ein palästinensischer Taxifahrer erzählte mir mal in Berlin, er habe seinen beiden Töchtern geraten, bei einem Referat über den jüdisch-arabischen Konflikt sich strikt an das offizielle Lernmaterial zu halten, um sich nichts zu verbauen. Mit dem eigenen Narrativ ecke man zu sehr in der Mehrheitsgesellschaft an.

Die väterliche Sorge ist verständlich. Der deutsche Diskurs wird ziemlich schnell toxisch, sobald es um den Palästina-Konflikt geht. Im Fall Nemi El-Hassan reichten schon ein paar „Likes“, die sie im Sommer unter Instagram-Beiträgen der antizionistischen US-Gruppe „Jewish Voice for Peace“ gesetzt hatte, um sie als verkappte Antisemitin hinzustellen.

Nemi El-Hassan hatte sich längst für Demo-Teilnahme entschuldigt

Einer betraf einen Boykottaufruf von Siedlerprodukten, ein anderer einen spektakulären Gefängnisausbruch in Israel, der als Akt palästinensischer „Selbstbefreiung“ ausgegeben wurde. Solche Positionen teilten auch israelische Linke, wandten Avi Primor, Israels ehemaliger Botschafter, sowie der mit deutscher NS-Vergangenheit und Judenverfolgung bestens vertraute Historiker Moshe Zimmermann ein. Antisemitisch sei das nicht.

Bereits zuvor war die Luft aus dem vom Springer-Blatt aufgeblasenen „Islamismus-Skandal beim WDR“ entwichen, als sich herausstellte, dass sich El-Hassan für ihre Teilnahme an einer berüchtigten israelfeindlichen Al Quds-Demo 2014, als der bislang längste und blutigste Gaza-Krieg tobte, längst in einem Interview entschuldigt hatte, ja sich im Nachhinein dafür schäme.

Nemi El-Hassans Entscheidung gegen das Schweigen verdient Respekt

Doch einen medienwirksam in die Welt gesetzten Verdacht wird man so schnell nicht los. Auch wenn es jede Menge prominenter Fürsprachen gab, die sich mit El-Hassan solidarisierten. Derweil scheint im Rundfunkbeirat und auch im Jüdischen Zentralrat Erleichterung vorzuherrschen, dass der WDR auf ihre Anstellung „verzichtete“.

Den Herrschaften waren ihre politischen Ansichten zum Nahostkonflikt zu krass oder zu suspekt. Aber in der jungen palästinensischen Generation, auch unter den in Deutschland lebenden Migrant:innen, sind sie gang und gäbe. Obwohl „unsere Eltern“, wie El-Hassan schreibt, „uns stets eingebläut haben zu schweigen, wenn es um Nahost geht“. Sie hat sich dagegen entschieden. Das verdient zumindest Respekt. (Inge Günther)

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