Wie im Rausch

In der „Bild“ wie in den „sozialen Medien“ gilt: erst mal verurteilen, draufhauen, kleinkriegen. Diesmal traf es eine Reisegruppe aus dem Münsterland. Die Kolumne.
Eigentlich war mal wieder alles wie aus dem Klischee. Mallorca. 13 deutsche Männer. Alle tragen die gleichen Poloshirts. Blau. Logo mit Bierhumpen, einigen Kegeln und dem Vereinsnamen. „KC Stramm am Tisch“. Kurze Hosen. Weiße Socken. Sandalen. Dosenbier.
Sie kommen aus dem Münsterland. Flogen an den Ballermann, für drei Tage. Wollten das tun, was offensichtlich Millionen anderer Männer auch tun. Und was die Frage aufwirft, unter welch fürchterlichem Alltagsdruck jemand stehen muss, wenn er das unter Erholung versteht.
Schon rotzbesoffen ankommen, dann Bier trinken und Schnaps und billigen Wein, kurz einnicken, in der prallen Sonne mit dröhnenden Kopfschmerzen aufwachen, dann weitersaufen, dann Stimmungslieder, kurz kotzen, dann weitersaufen, kurz einnicken, in der prallen Sonne mit dröhnenden Kopfschmerzen aufwachen, dann weitersaufen, kurz kotzen, dann Stimmungslieder, dann wieder heimfliegen, dort rotzbesoffen ankommen und am nächsten Tag wieder arbeiten gehen.
Und am Abend wieder in die Stammkneipe gehen. „Zum Ausspann“ heißt sie. Der Wirt sagt über sie: „Das sind alles feine Jungs, die nie Stress machen.“ Und einer ihrer Väter sagt: „Sie sind alle fest im Leben verankert. Sie arbeiten von früh bis spät in der Landwirtschaft, sechs sind bei der Freiwilligen Feuerwehr. Das sind keine Trunkenbolde.“
Der Plan vom kurzen, heftigen Wegsein ging dieses Mal nicht auf. Sie waren nur wenige Stunden auf der Insel – und schon saßen sie in Untersuchungshaft. Brandstiftung lautete der Vorwurf. Sie sollen betrunken auf dem Hotelbalkon gestanden, brennende Kippen auf das Strohdach des Nachbarhauses geschnippt, Schnaps hinterhergekippt und so ein Nachtlokal angezündet haben.
Den Wahrheitsgehalt dieses Vorwurfs kennt kein Mensch. Für die Sensationspresse aber war der Fall klar. „Saufen! Feiern! Abfackeln!“ schrieb „Bild“ in riesigen Lettern am Tag nach der Festnahme. Und: „Polizei sicher: Münsterländer fackeln eine Bar ab“. Tags drauf dann: „Die wilden 13 sitzen und schweigen“.
Schnell wurde ein Strafrechtler zitiert, der von 20 Jahren Gefängnis faselte, auch der Besitzer der abgebrannten Bar wurde ausfindig gemacht, ein 55-jähriger Silverio, der nun „seine Existenz verlor und seine Familie nicht mehr ernähren kann“.
Am nächsten Tag wurde Spannung aufgebaut. „Die Malle-Zündler. Welcher Kegel-Bruder verrät seine Freunde zuerst?“, hieß es dann. Und was mit dem passiert, wurde auch gleich klargestellt: „Wer auspackt und die Haupttäter benennt, kommt vielleicht frei – ist aber für immer in der Heimat, bei allen Freunden, Nachbarn und Kollegen untendurch.“
Das Urteil war also gesprochen, zumindest bei „Bild“. Einige von ihnen sind schuldig, man weiß nur nicht, wer. Schon 24 Stunden später aber wird das Blatt leiser. In einem Nebensatz wird von Erkenntnissen berichtet, wonach die Kegler gar nicht auf dem Balkon waren, sondern mithalfen, das Hotel zu evakuieren. Sie könnten also unschuldig sein.
Ist „Bild“ mal wieder zu kritisieren? Gewiss. Doch man tut dort nur das, was mittlerweile alle tun. Tag für Tag. In den „sozialen Medien“. Erst mal verurteilen, draufhauen, kleinkriegen. „Bild“ hat sich wenigstens korrigiert. Das ist bei Facebook und Konsorten nicht üblich.
Michael Herl ist Autor und Theatermacher