1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen

Werdet erwachsen!

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Maren Urner

Kommentare

Frieden muss als gesamtgesellschaftlicher Prozess stets von  selbstbewussten Menschen eingefordert werden.
Frieden muss als gesamtgesellschaftlicher Prozess stets von selbstbewussten Menschen eingefordert werden. © Boris Roessler/dpa

Krieg, Klimaschutz und Corona-Krise fordern von uns emotionale Reife. Angst hilft nicht. Die Kolumne.

Irgendwie haben wir das Gefühl, dass alles anders ist, oder? Weil wir nicht mehr wissen, welche Krise gerade die wichtigste ist. Weil wir – nachdem wir in den vergangenen zwei Jahren alle zu Pandemieexpert:innen geworden sind – nun irgendwie eine Position zur geopolitischen Situation in und um Russland und die Ukraine haben müssen. Weil wirklich nichts mehr sicher ist. Und das, als wir gerade dachten, jetzt könnten wir wieder planen. Wo wir gerade dachten, ein wenig Frühlingsluft einatmen zu können und ein wenig unbeschwert sein zu können. Ein wenig Kind sein …

„Stopp!“, möchte ich alle ermahnen, die sich gerade nach kindlicher Leichtigkeit und Geborgenheit sehnen. „Hört auf!“, möchte ich allen zurufen, die sich weiterhin vormachen, dass es jemals so etwas wie Sicherheit gab. „Werdet erwachsen!“, möchte ich gar alle anschreien, die nun über den Verlust der vermeintlichen Sicherheit klagen, während sie nervös auf den Stühlen der Nation(en) umherrutschen und trotzige Reaktionen an den Tag legen, die die komplette Bandbreite von Angst über Frust bis hin zu Aggression einschließen.

Wie das Kind, dem der Lolli geklaut wurde. Oder ein wenig dramatischer: wie Truman Burbank, der in dem Film „The Truman Show“ erkennt, dass das vermeintliche Ende seines Horizonts nichts weiter als die Studiowand eines Filmsets ist. Der erkennt, dass er sein bisheriges Leben in einer Fiktion gelebt hat.

Die Sicherheit, in der wir uns gewiegt haben, ist eine vergleichbare Fiktion. Eine Geschichte, die sich eine begrenzte Anzahl an Menschen in „unseren Breitengraden“ für ein paar Jahrzehnte erzählt hat.

Im Zuge dieser Geschichte haben wir fleißig Bausparverträge abgeschlossen, Ein- und Zweifamilienhäuser mit Garage und Vorgarten gebaut und auf den kommenden Urlaub, die Rente oder für die Nachkommen gespart. Es gab dieses sichere Gefühl, dass wir immer ein wenig „besser“ dastehen würden.

Jetzt kommen die Krisen nicht mehr nacheinander, so dass wir uns medial und gedanklich chronologisch an ihnen abarbeiten können. Jetzt sollen wir mit dem Dreiklang aus Corona-, Ukraine- und Klimakrise jonglieren. Obwohl unser Gehirn nicht multitaskingfähig ist und wir uns so sehr nach dem Gefühl der Sicherheit sehnen. So ist unser Hirn fortwährend damit beschäftigt, basierend auf den bisherigen Erfahrungen Vorhersagen zu treffen, um uns entscheidungs- und handlungsfähig zu machen.

Was also tun, wenn nun unsere Vorhersagen nur noch ins Leere laufen? Wenn wir plötzlich wie Truman vor der Studiowand stehen, weil wir begreifen, dass die Sicherheit nichts weiter als eine gesellschaftlich orchestrierte Kulisse war?

Dann ist es an der Zeit, in einen anderen Modus zu schalten. Einen Modus, der uns statt materieller Sicherheit und Absicherung die Sicherheit woanders finden lässt. Dann ist es an der Zeit, erwachsen zu werden und den kindlichen Angst- und Trotzmodus zu überwinden. Dafür müssen wir beginnen, unsere Emotionen einzuordnen, um so selbstbewusster in der Welt agieren zu können. Nur dann sind wir in der Lage, Konflikten besser zu begegnen.

Vielleicht ist diese emotionale Reife wichtiger als jede Hochschulreife. Vielleicht ist diese emotionale Reife gar die Grundlage für erfolgreiche Konfliktbearbeitung. Vielleicht liegt in ihr der Schlüssel zu einer wahrlich aufgeklärten, einer zivilisierten Gesellschaft, die begriffen hat, dass Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg ist. Weil Frieden nicht einfach „ist“, sondern als gesamtgesellschaftlicher Prozess stets von in diesem Sinne erwachsenen – also selbstbewussten – Menschen eingefordert werden muss.

Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie und Neurowissenschaftlerin.

Auch interessant

Kommentare