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Wer schützt uns vor uns? Wir!

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Von: Maren Urner

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Abgase
Da bläst ganz schön was hinten raus. © Marijan Murat/dpa

Wenn wir Verbraucherschutz ganz neu denken, können wir die Zukunft des Planeten sichern.

Aufgeregt gestikulierend sitzen sie hinter dem Steuer. Ein Konzert aus aufgebrachten Rufen, Fluchen, Hupen und Auspufflärm füllt die engen Gassen der mittelalterlichen Kleinstadt. Ganz offensichtlich sind sie nicht für Autos geschweige denn SUVs ausgelegt. Das scheint hier aber niemanden zu interessieren. Da muss auch mal ein Außenspiegel dran glauben. Schließlich ist Schulschluss und der Nachwuchs wartet ungeduldig darauf, an einer der engen Einbahnstraßen aufgegabelt zu werden.

Das führt dazu, dass meine Entdeckungstour durch die kleine Altstadt als Fußgängerin fast zur lebensgefährlichen Odyssee wird. Kurz frage ich mich, was wahrscheinlicher ist: Am Abgascocktail der modernen Familienkutschen zu ersticken oder von einer Mama oder einem Papa überfahren zu werden.

Und plötzlich kommt mir – vielleicht schon leicht benebelt – ein Gedanke in den Sinn, der die Absurdität der Situation für mich greifbarer macht: Wir müssen Verbraucherschutz neu denken, wenn wir die Zukunft der menschlichen Spezies auf diesem Planeten gewährleisten wollen.

„Wir stehen am Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt machen, können eine lebbare Zukunft sicherstellen“, so fasste der Vorsitzende des Weltklimarats Hoesung Lee die Ergebnisse des jüngsten Weltklimaberichts vor wenigen Tagen zusammen. Warum? Weil die menschengemachten planetaren Veränderungen mittlerweile so gravierend sind, dass wir unsere eigene Lebensgrundlage nicht nur grundlegend verändert haben, sondern sie tatsächlich zu zerstören drohen.

Zwischen Abgasen, Hupen und Fluchen denke ich also: Verbraucherschutz in Form von bildlichen Warnungen auf Zigarettenschachteln, in Form von Verboten für sich automatisch verlängernde Telefonverträge und andere Abonnements, in Form von Lebensmittelampel und Gefahrenhinweisen auf elektrischen Geräten – das ist zwar nett und nützlich, schützt uns aber, wenn überhaupt, nur begrenzt und kurzfristig.

Beginne ich mit dem direkten und vielleicht auch einfacheren Aspekt, also der Kurzfristigkeit, reicht ein Blick auf die Abholaktion des Nachwuchses. Langfristig(er) gedacht, wäre der sehr wahrscheinlich besser versorgt, wenn er zu Fuß oder mit dem Rad gemeinsam mit Freund:innen den Heimweg antreten würde, oder?

Bleibt die Begrenztheit und damit der Gedanke, der mich zwischen Abgasen, Außenspiegeln und Absperrungen nicht mehr loslässt und Verbraucherschutz neu denken lässt. Denn nehmen wir die Warnungen der Klimawissenschaftler:innen dieser Welt endlich ernst, geht die größte Gefahr für sämtliche Verbraucher:innen auf diesem Planeten nicht von Tabakwaren, Knebelverträgen oder Tiefkühlpizzen aus, sondern von uns selbst. Weil wir dabei sind, unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Weil nicht mehr viel Zeit bleibt, um unser Verhalten in sämtlichen Lebensbereichen grundlegend anders zu strukturieren. Bevor jetzt der Streit um individuelle versus systemische Veränderungen entbrennt: Natürlich braucht es beides, unterstützt und angeregt durch vollständig neue Formen von Anreizen und Belohnungen.

Es geht also um die Frage: Wer schützt uns vor uns selbst? Die Antwort ist klar und schnell gegeben: wir. Die Umsetzung ist das, worauf es nun ankommt. Weil sie zwar nicht klar, aber schnell von Nöten ist. Die gute Nachricht? Sie steckt in der Fortsetzung von Hoesung Lees Aussage: „Wir haben die Werkzeuge und das nötige Wissen, um die Erwärmung zu begrenzen.“ Los geht’s!

Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie und Neurowissenschaften.

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