Weg mit den Blockaden

Es gibt viele spirituelle Angebote. Es sind wohl viele bereit, sich zu ändern. Lässt sich das nicht nutzen?
Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“, heißt es bei Hölderlin. Was die Kriege und Krisen der heutigen Welt angeht, hat man da allerdings seine Zweifel und fragt sich schon, warum es (das Rettende) sich dabei so viel Zeit lässt. Oder ob man es vielleicht nur nicht gründlich genug sucht?
Im größeren, kosmischen Sinne boomen Rettungsversprechen derzeit ja durchaus. Fast täglich erreichen mich digitale Einladungen zu spirituellen Online-Kongressen, Yoga-Retreats, Chakrenreinigungen, Reisen in die eigenen Zellen, Meditationen, Herzöffnungen, Ernährungskursen, Traumaauflösung und anderen Möglichkeiten, sich energetisch besserzustellen. Wobei ich da prinzipiell sehr aufgeschlossen und nicht ohne Grund im Beuteschema der Verteiler bin.
Aber so gut es sich im Einzelnen anfühlen mag, trotz Klimakrise, Artensterben, Kriegsgeschehen, sozialer Ungerechtigkeit und körperlichen Abnutzungserscheinungen ab und zu bewusst durchzuatmen und die Welt wenigstens im eigenen Innersten zusammenzuhalten, so wahrscheinlich ist es, dass dies an der gesellschaftlichen und politischen Lage unmittelbar nichts ändert. Der Marsch durch die Institutionen ist durch Atemtechnik nicht zu ersetzen. Andererseits habe ich diesen ja auch ohne Pranayama bisher nicht angetreten.
Und das ist nicht der einzige gedankliche Knoten der durch reichhaltigste Angebote ungemein verbreiterten Sinnsuche und Innerlichkeit dieser Tage. Wobei das Gedankliche in diesen Welten ja als Blockade gesehen wird, die es aufzulösen gilt zugunsten der Gefühle und frei fließenden Energie.
Gedacht wird natürlich trotzdem und letztlich vor allem an sich selbst. Auch im Flugzeug gilt zwar, dass bei Druckabfall in der Kabine erst die eigene Atemmaske aufzusetzen ist. Doch in der Sphäre des Geistigen ergibt sich aus der energetischen „Verbundenheit“ des Praktizierenden auch in zweiter Linie kein praktischer Nutzen für jene, die sich nicht ohnehin auf gleichem Weg befinden. Will sagen: Die Überwindung des Egos dient im Wesentlichen dem Einzelnen.
Aus all dem folgt für mich nicht, dass der Markt des Spirituellen etwa gesellschaftlich schädlich wäre. Mir sind innere Bilder allemal lieber als pixelproduzierende Algorithmen mit Call-to-action-Buttons. An eskapistischen Strategien hat der moderne Alltag - weiß Buddha oder die innere Göttin - viel Bedenklicheres zu bieten.
Aber das anschwellende Angebot verweist ja auf ein beträchtliches Potenzial erfreulicher Veränderungsbereitschaft. Echte Menschen machen sich daran, ihre Lebensgewohnheiten zu überprüfen, wollen dazulernen und freuen sich darüber! Das müsste sich zur Rettung im Sinne Hölderlins am Ende doch irgendwie nutzen lassen!
Himmelstrebende Heerscharen hier unter uns, die zungengereinigt, entgiftet, energetisiert und mit mantrengestärkten Herzzentren sich zu einem diesseitigen Einsatz doch bereit finden müssten! Tatsächlich scheinen wohl auch die ältesten Seelen nach den Morgenritualen mit ihren veganen Snacks einfach in Büros zu verschwinden, wo sie keine neuen Gesellschaftsordnungen, sondern bestenfalls weitere Workshops ersinnen.
Ist die Gefahr vielleicht noch nicht groß genug? Oder dämmert das Rettende aus anderer Richtung? Ich setze die teilnehmende Beobachtung vorsichtshalber fort, halte mein drittes Auge offen und channele Ihnen, wenn ich mehr weiß.
Petra Kohse ist Theaterwissenschaftlerin, Buchautorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.