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Von Eisbären und Ampeln

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Von: Manfred Niekisch

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Was sich im fernen Deutschland tut, dürfte den Eisbären an der Hudson Bay allenfalls auf Umwegen zu Ohren kommen.
Was sich im fernen Deutschland tut, dürfte den Eisbären an der Hudson Bay allenfalls auf Umwegen zu Ohren kommen. © Ulf Mauder / dpa

Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP kann Hoffnung auf mehr Klimaschutz wecken. Aber er lässt auch Hintertürchen offen. Die Kolumne.

Was sich im fernen Deutschland tut, dürfte den Eisbären an der Hudson Bay allenfalls auf Umwegen zu Ohren kommen. Dort oben im Norden Kanadas verständlich zu machen, was die künftige Regierungskoalition beschlossen hat, wird bei ihnen schon deswegen auf Verständnisprobleme stoßen, weil die Tundra und Churchill/Manitoba, die Hauptstadt der Eisbären, keine Vorbilder liefern, was unter einer Ampel zu verstehen ist. Rot sind dort die Sonnenuntergänge, gelb die Blüten weniger Pflanzen, grün die vorherrschende Vegetation der Tundra, sofern sie nicht unter Schnee liegt.

Gerade drängeln sich die Polarbären rund um Churchill und mitten im Ort, suchen Futter, wo immer sie es finden. Die Mülltonnen sind allzu gut in Drahtkäfigen vor Zugriff geschützt. Die abgemagerten Tiere können ihren Hunger noch nicht stillen, denn dazu müssen sie auf das Eis hinaus wandern, und das bleibt immer länger aus.

Der Sommer war naturgemäß eher nahrungsarm, doch nun käme die fette Zeit mit all den Robben, ihrer Lieblingsnahrung. Große Eisschollen und die Luftlöcher in der gefrorenen Meeresdecke sind die optimalen Jagdgründe, wenn sie sich denn endlich formen.

Das Schauspiel der von Land her anwandernden weißen Riesen führte dazu, dass Churchill sich zur Hauptstadt der Eisbären erklären konnte. Die treiben sich dort herum oder werden mit bärensicheren Beobachtungsmobilen in der stadtnahen Tundra angesteuert. Die größten Landraubtiere der Erde sind die wichtigste, wenn nicht sogar die einzige touristische Attraktion. Doch schon beginnt die Stadtverwaltung, über neue Highlights und Tourismusköder nachzudenken, denn sie befürchtet, dass der Klimawandel auch hier deutliche Auswirkungen zeigt, mit einem Rückgang der Bären und damit des Tourismus.

Doch noch reisen alljährlich Hunderte Bärenfans mit ihren Kameraausrüstungen an, und natürlich mit dem Flugzeug. So leisten sie ganz nebenbei ihren Beitrag zur Erderwärmung und schaden damit selbst ihren bepelzten Besuchsobjekten.

Wer noch spekuliert, ob die Eisbären wirklich vom Klimawandel bedroht sind, darf schon einmal zur Kenntnis nehmen, dass auch in Churchill der Permafrost im Boden auftaut. Deswegen versanken bereits die Schienen der Eisenbahnlinie im Matsch. In der Zeit der aufwendigen Neuanlagen musste für die knapp 1000 Ortsansässigen die Versorgung aus der Luft gewährleistet werden.

Die Menschen in der Arktis, nicht nur in Churchill, sind immer stärker gezwungen, sich mit den Folgen des Klimawandels irgendwie zu arrangieren. Das ist schwierig genug. Die Eisbären aber haben noch deutlich weniger Gestaltungsmöglichkeiten, um damit fertig zu werden.

Da könnten sie ein bisschen Hoffnung schöpfen, dass die künftige Koalition im fernen Deutschland ihnen hilft und jetzt Ernst macht mit dem Klimaschutz. Zumindest wenn es nach dem Koalitionsvertrag geht und grammatikalisch oder semantisch eingebaute Hintertürchen nicht dazu dienen, einiges doch nicht allzu zügig umzusetzen. So ist das Ende der Kohleverstromung lediglich „idealerweise“ bis 2030 ins Auge gefasst und das Wort vom allgemeinen Tempolimit kommt in dem Text gar nicht vor.

Naja, die Eisbären in Churchill werden von den Inhalten des Koalitionsvertrags wohl nichts erfahren. Da können sie sich wenigstens keine falschen Hoffnungen machen.

Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor.

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