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Von Buffy Sainte-Marie lernen

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Von: Harry Nutt

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Die Musikerin Buffy Sainte-Marie bei einer Preisverleihung 2018.
Die Musikerin Buffy Sainte-Marie bei einer Preisverleihung 2018. © Jonathan Hayward/dpa

Die US-Sängerin zeigt, dass sich universelle Überzeugungen mit Identitätspolitik vereinen lassen. Die Kolumne.

Mitte der 60er Jahre schien die Orientierung in der politischen Welt einfach. Kein Problem jedenfalls für viele, sich hinter der pazifistischen Hymne „Universal Soldier“ zu versammeln, die 1965 in der Version von Donovan ein Welthit wurde.

Geschrieben hatte es die kanadische Sängerin Buffy Sainte-Marie, die darin ein universalistisches Weltbild propagiert, in dem keine Unterschiede gemacht werden zwischen Herkunft, Glaube und anderen Identitätsmerkmalen. Es gibt allerdings auch, so die Pointe des einfachen Folk-Songs, universelle Schuld. „He’s the universal soldier/and he really is to blame“, die Befehle, denen der Soldat folgen muss und folgt, kommen letztlich von uns allen.

Buffy Sainte-Marie schließt die Zuhörerinnen und Zuhörer in die Verantwortung mit ein. Es ist dasselbe Muster, nach dem heute alle aufgefordert sind, ihren ökologischen Fußabdruck zu senken und nicht etwa die Rodungen der Regenwälder als Ursache der Wetterfolgen zu betrachten.

Die poetische Inklusion, die Buffy Sainte-Marie in „Universal Soldier“ vornahm, war der jungen Songschreiberin ein Herzensanliegen. Sie ist die Tochter von Cree-Indianern, die im Reservat im Tal des Qu’Apelle River in der kanadischen Provinz Saskatchewan ansässig sind. Ihre Popularität in der Folk-Szene nutzt sie dazu, auf ihre Herkunft und die Verhältnisse in den Reservaten aufmerksam zu machen.

In der legendären Johnny-Cash-Show trat die junge Sängerin artig mit einem traditionellem Instrument auf, einem sogenannten Mouthbow, und der ’Gastgeber verwies darauf, dass in seinen Adern ein wenig Cherokee-Blut fließe.

In einigen Sendern aber war Buffy Sainte-Marie bald nicht mehr willkommen. Ihr Song „My Country ’Tis of Thy People You’re Dying“, der den Genozid an den US-amerikanischen Ureinwohner:innen thematisiert, wurde vielfach aus dem Programm verbannt.

Populär wurde indes ihre Coverversion von „The Circle Game“, die Joni Mitchell, die das Lied geschrieben hatte, später als eine Art Starthilfe für ihre Karriere betrachtete. Die Konkurrenz in der Folk-Szene sei sehr groß gewesen, daher sei sie Buffy Sainte-Marie ewig dankbar für die Aufnahme ihres Stücks.

In ihrer Autobiografie schreibt die heute 80-jährige Buffy Sainte-Marie auch darüber, wie sie als Kind aus ihrer indigenen Familie herausgerissen wurde und bei Adoptiveltern in Maine und in Massachusetts aufwuchs, sie kenne nicht einmal ihr genaues Geburtsdatum.

An Buffy Sainte-Marie ließe sich lernen, wie die Aufmerksamkeit für identitätspolitische Fragen hochgehalten werden kann, ohne universelle Überzeugungen aufzugeben. In der Rückschau auf die Karriere der Sängerin ist es immer wieder verblüffend, wie selbstbewusst sie zu Beginn der 60er Jahre als eine der ersten Songwriterinnen in Erscheinung trat und später selbstironisch auf diese Phase zurückblickte.

Als alle Folksongs schreiben wollten, habe sie ein Liebeslied mit dem Titel „Until It’s Time For You To Go“ fabriziert, für das sie sich fast ein wenig geschämt habe. Als dann aber Barbara Streisand, Sonny and Cher, Neil Diamond und Elvis Presley es übernahmen, habe sie letztlich akzeptiert, dass es wohl von ihr stammt – eines der schönsten Exemplare amerikanischer Unterhaltungsmusik, das sich schon durch die Geschichte des Buffy Sainte-Marie des Kitschverdachts entzieht.

Harry Nutt ist Autor.

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