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Vom Süden aus gesehen

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Von: Johannes Dieterich

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Auf diesem vom Pressedienst des russischen Außenministeriums veröffentlichten Foto unterhalten sich der russische Außenminister Sergej Lawrow (links) und seine südafrikanische Amtskollegin Naledi Pandor während ihres Treffens in Pretoria, Südafrika.
Auf diesem vom Pressedienst des russischen Außenministeriums veröffentlichten Foto unterhalten sich der russische Außenminister Sergej Lawrow (links) und seine südafrikanische Amtskollegin Naledi Pandor während ihres Treffens in Pretoria, Südafrika. © Uncredited/dpa

Eine Reihe von Staaten Afrikas nimmt zum Ukraine-Krieg eine andere Haltung ein als der Westen wünscht. Er ist für sie kein Anlass, sich global neu zu verorten. Die Kolumne.

Südafrikas Regierung empfing kürzlich den russischen Außenminister Sergei Lawrow mit offenen Armen und scherte sich einen Dreck um die Erwartung des Westens, wonach Pretoria Lawrow die Leviten lesen sollte. Wie kann das Land, das Nelson Mandela hervorgebracht hat, die Augen vor dem schreienden Unrecht Russlands in der Ukraine verschließen? Was nicht allein für die Südspitze des Kontinents gilt: 17 weitere afrikanische Staaten haben sich in der UN-Vollversammlung der vom Westen initiierten Verurteilung Wladimir Putins verweigert. Haben die Afrikaner:innen jetzt vollends den Verstand verloren?

Nicht unbedingt. Vom Süden aus betrachtet stellt sich die Welt nämlich sehr anders dar. Hier sind die Europäer nicht „wir“, sondern „die“ – und zwar diejenigen, die uns bis vor 60 Jahren als Untermenschen behandelt haben. Wir wurden als Sklav:innen verkauft oder wie in Namibia abgeschlachtet: Sie haben alles Brauchbare aus unserem Erdteil geschleppt. Kautschuk, Gold, Baumwolle und Mangos. Das tun sie heute noch: Ihre Konzerne beuten unsere Bodenschätze mit ihren Maschinen, ihrem Schmiergeld und unserer Arbeitskraft aus. Vor mehreren Jahrzehnten sind sie dazu übergegangen, uns auch Geld zu unserer „Entwicklung“ zu geben. Doch davon wollen sie auch selber profitieren – und erwarten, dass wir dafür dankbar sind.

Die Dankbarkeit der Afrikaner:innen sollte sich unter anderem darin ausdrücken, dass sie uns Europäer als führende Nationen dieser Welt anerkennen. Schließlich wurde weder die Glühbirne, noch die Dampfmaschine oder der Laptop in Kinshasa erfunden. Wir sind jedoch großzügig genug, unsere Errungenschaften auch ihnen zukommen zu lassen. Kann man dafür nicht, vor allem in schwierigen Zeiten, etwas Unterstützung erwarten?

Bei Unterstützung in schwierigen Zeiten denkt der Afrikaner an die beiden Weltkriege, in denen seine Großväter zu Tausenden auf europäischen Schlachtfeldern starben. Oder an den anschließenden Kalten Krieg, in dem seine Väter in heißen Stellvertreterkriegen im Kongo, Mosambik oder Angola ihr Leben ließen – für die ideologischen Kämpfe im Norden. Er denkt an das vom Westen unterstützte Apartheidregime und an den Irak, in den George W. Bush und Tony Blair genauso unrechtmäßig einmarschierten wie Wladimir Putin in die Ukraine.

Damals schwor sich Südafrikas Regierung, bei globalen Konflikten eine unabhängige Position einzunehmen. Wenn heute jemand den Schulterschluss verlangt, reagiert Pretoria gereizt: „Wir hüpfen nicht, wenn Washington uns hüpfen sehen will“, heißt es. Südafrika trat einem Staatenbund bei, dem auch Brasilien, Indien, China und Russland angehören: Bei seiner Gründung schrieb sich das „Brics“-Bündnis schon auf die Fahne, dem von den USA dominierten westlichen Bündnis etwas entgegenzusetzen. Nach der Devise: „Multilateralismus“ statt „Imperialismus“.

Zugegeben, es wäre höchst anstößig, sich als Europäer:in Putins Gemetzel in der Ukraine ungerührt anzusehen – es lässt auch Afrikaner:innen nicht kalt. Etwas anderes ist es jedoch, aus afrikanischer Entfernung wegen des Ukraine-Kriegs seine Stellung in der Welt neu zu bestimmen: Das hat auch die Schweiz als Nachbar Nazideutschlands nicht getan. Doch die Schweiz ist bekanntlich nicht Afrika: Die da unten im Süden sollten gefälligst artig und nicht bockig sein.

Johannes Dieterich ist Journalist und berichtet für die Frankfurter Rundschau aus und über Afrika.

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