Vom Eigenwert des Nichttuns

Um die Welt zu retten, brauchen wir neue Worte. Das, was man nicht mehr tun sollte, muss benannt werden, damit es etwas bedeutet und Spaß macht.
Wissen Sie, was mir am Energiesparen am besten gefällt? Dass „sparen“ eines der wenigen Worte im Deutschen ist, die etwas bezeichnen, was man nicht macht. „Lassen“ wäre ein anderes. Und dabei bitte nicht ans Sparkonto denken. Dort spart man an, dann wird das Geld, das man anderswo nicht ausgibt, an dieser Stelle mehr. Auch die Energie, die wir zu Hause nicht verbrauchen, wird anderswo vermutlich mehr.
Aber ich wollte jetzt nicht so ins Einzelthema einsteigen, sondern mich darüber freuen, dass Passivität hier mit einem eigenen Wort gewürdigt wird. Was den Menschen in diesem Fall offenbar so unheimlich ist, dass umfangreiche „Maßnahmen“ erdacht werden, mit denen man diese Passivität wiederum gestalten kann, sodass auch beim Energiesparen Geld ausgegeben wird.
Nur das Aktive, das, was man tut, sieht, anfassen kann und was am besten auch immer größer wird, ist in unserer Sprache das Gewohnte. Nur damit fühlt man sich sicher. Den Dingen gewachsen, könnte man auch sagen.
Tatsächlich handelt es sich beim Deutschen um eine wachstumsversessene Sprache. Höher, größer, weiter, schneller ist prinzipiell positiv konnotiert, das Niedrige, Kleine, Stagnierende, Langsame eher nicht. Käme jemand „geruhsam“ ans Ziel, wäre es ein ironischer Euphemismus, über den man lachte: Dass der es überhaupt geschafft hat! Die hochfliegenden Pläne, aber die niedrigen Instinkte.
Und wie nennt man etwas, vielleicht ein Haus, das nicht so hoch ist? „Nicht so hoch“ ist ja schon das Eingeständnis, unter den Möglichkeiten geblieben zu sein. Und „flach“ will man höchstens seinen Bauch, aber nicht das Haus, zumal wenn es am Ende doch ein Dach haben sollte, „niedrig“ indessen klingt nach Hobbithöhle.
Was ich nicht sagen kann, kann ich auch nicht denken, heißt es bei Ludwig Wittgenstein, die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. Wobei es genau diese Grenzen dringend zu sprengen gilt, wenn wir uns 90 Sekunden vor dem Weltuntergang befinden.
Nicht die beschleunigte Umsetzung aufwendiger Maßnahmen, sondern das Nicht ist jetzt hilfreich. Das Nichtkaufen, das Nichtfahren, das Nichtbauen – all das, wofür es keine spezifischen Worte gibt, sondern nur das allgemeine „lassen“. Das Nicht, das ja absolut kein Nichts ist! Wie aber kann Nichtkaufen einen Wert bekommen und Spaß machen, wenn es nicht selbst benannt wird, sondern man doch wieder beim nicht stattgefunden habenden Kaufen hängenbleibt?
Dass Nichtkaufen das neue Kaufen sein könnte, wäre sprachlich der falsche Weg. Die Weniger-ist-mehr-Rhetorik stabilisiert die Verhältnisse ja nur. Was Not tut, ist hingegen Subversion. Da wäre nun vielleicht die Gesellschaft für Deutsche Sprache gefordert, die sich zwar vor allem das Bewahren auf die Fahne geschrieben hat, in deren Satzung aber durchaus von einer „anwendungsbezogenen Forschung auf dem Gebiet der deutschen Sprache“ die Rede ist.
Dabei könnte auch mal etwas Neues entstehen! Wir brauchen Worte für das, was man tut, wenn man etwas Spezielles nicht tut. An meinem Kühlschrank hängt eine Postkarte, auf der das Wort „Awumbuk“ steht: „Gefühl von Leere und Erleichterung, wenn die Gäste gegangen sind.“
Ein inspirierendes Beispiel aus Papua-Neuguinea, in die Richtung könnte es gehen, nur eben auf die Abwesenheit von Aktivität und Wachstum bezogen. Auf all das, was man sich sparen kann – und muss.
Petra Kohse ist Theaterwissenschaftlerin, Kulturredakteurin, Buchautorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.