Verlust und Wandel

Der Niedergang von Kaufhäusern zeigte sich zuerst in Kleinstädten. Endlich setzen sie mal Trends, wenn auch in zweifelhafter Sache. Die Kolumne.
Eigentlich sehe ich das ja ein. Wenn auch notgedrungen. Doch das Thema „Kaufhäuser“ müffelt penetrant nach verklärender Sozialromantik, nach viel zu süßer Kindheit, nach seltsam guter alter Zeit und nach einem Gestern, das es so, wie viele es erinnern, nie gab.
Man vergisst ja so einiges und behält sich nur das Behaltenswerte. So sehe ich mich heute noch in der dritten Etage des Kaufhauses „Merkur“ in Pirmasens stehen. Ich war 13 und hatte bei einem Geschicklichkeitswettbewerb anlässlich eines von der „Pirmasenser Zeitung“ veranstalteten Volkswandertags den ersten Preis gewonnen.
Man sollte eine Frisbeescheibe in einen Schlitz schleudern, einen Ball in einen Korb werfen und einen weiteren in die Löcher einer Torwand treten. Bei zwölf Versuchen erzielte ich elf Treffer. Das hatte offensichtlich sonst niemand zustande gebracht, also sprach man mir den Hauptgewinn zu – ein Klapprad.
Gestiftet war es vom Kaufhaus „Merkur“, dem ersten Haus am Platze, wie man damals so schön sagte. Dort fand denn auch einige Tage nach der Veranstaltung im Rahmen eines kleinen Festakts die Preisverleihung statt. Ich kann mich nicht erinnern, sonderlich stolz gewesen zu sein, mir war der Rummel peinlich. Außerdem hätte ich lieber ein Bonanzarad gehabt. Gab es aber nicht.
Stattdessen ein Foto von mir in der Zeitung, was wenigstens meine Mutter stolz machte. Auch gut, denn das kam zu der Zeit selten vor. Meine Zweifel aber sollten sich schon wenig später als gerechtfertigt herausstellen. Das spillerige Rädchen erwies sich nämlich als dem harten Alltag im Leben eines 13-jährigen Pfälzer Buben nicht gewachsen, machte seinem Namen Ehre und klappte unwiderruflich zusammen. Fortan nahm ich nicht mehr an Geschicklichkeitswettbewerben teil.
Ich weiß, das ist nicht sonderlich dramatisch, doch solch ein Erlebnis wird den 13-Jährigen dieser Welt künftig versagt bleiben – und zwar mangels Kaufhäusern. Auch das „Merkur“ in Pirmasens – besser „der Merkur“, wie man dort sagte – existiert schon lange nicht mehr.
In solchen Dingen sind darbende Kleinstädte offensichtlich den Metropolen voraus. Endlich setzen sie mal Trends, wenn auch in zweifelhafter Sache. Denn das Sterben der Kaufhäuser begann dort schon zu einer Zeit, als die Branche in Großstädten noch blühte.
In Pirmasens schloss zuerst ein familiengeführtes Haus namens „Moster“, dann besagter „Merkur“, schließlich die „Kaufhalle“. Die Folge war eine Verödung der Innenstadt – was in den Großstädten mit vielen Jahren Verspätung geschah und nun nach dem Aus vieler Karstadt-Kaufhof-Filialen forciert voranschreiten wird.
Zwar sollen nun, nachdem die Hausbesitzer die Mieten senkten, einige weitergeführt werden, doch das sind keine Dauerlösungen, sondern palliative Maßnahmen, die das Sterben etwas verlängern. Auch in Pirmasens lag das Problem nicht im hohen Mietzins.
Wenn ein Laden viel verdient, zahlt er viel an den Fiskus, kann also viel von der Steuer absetzen und demzufolge viel Miete zahlen. Daraus wird also kein Schuh. Ein einziges Unternehmen konnte sich übrigens dort halten: „Woolworth“. Und das eröffnete nun bezeichnenderweise auf der Frankfurter Zeil wieder eine Filiale. Das Erfolgsrezept: Billige Massenware und wenig Personal.
Michael Herl ist Autor und Theatermacher.