Republikaner in Tennessee zeigen das wahre Gesicht der Partei
Die republikanische Mehrheit im Parlament von Tennessee hat zwei schwarzen Abgeordneten der Demokraten das Mandat entzogen. Das ist antidemokratisch und rassistisch. Die USA-Kolumne.
Tennessee ist der undemokratischste Bundesstaat der USA. Das ergibt eine Studie, in der der Zustand der Demokratie in allen 50 US-Bundesstaaten untersucht wurde. Diesem zweifelhaften ersten Platz hat der Südstaat, in dem 1865 die rassistische Terrororganisation Ku-Klux-Klan gegründet wurde, jüngst wieder alle Ehre gemacht. Das Repräsentantenhaus des Parlaments von Tennessee hat zwei Abgeordneten ihr Mandat entzogen – endgültig. Wegen einer Lappalie. Das Ganze ist derartig gravierend, dass US-Präsident Joe Biden und sogar Ex-Präsident Barack Obama sich bemüßigt fühlten, die demokratieverachtende Aktion der Republikaner zu verurteilen.
Drei lokale Abgeordnete der Demokraten, die beiden Schwarzen Justin Jones (27) und Justin Pearson (28) sowie die Weiße Gloria Johnson (60), hatten eine Demonstration von Schüler:innen in den Plenarsaal getragen. Die Kinder und Jugendlichen forderten von den Abgeordneten endlich eine Verschärfung des Schusswaffenrechts, nachdem kurz zuvor bei einem Amoklauf an einer christlichen Grundschule in Nashville drei Schulkinder und drei Erwachsene erschossen worden waren.

Die drei Demokraten besetzten unerlaubt das Rednerpult, skandierten Forderungen und benutzten dafür ein Megafon. Dadurch wurde die Sitzung des Repräsentantenhauses kurzzeitig unterbrochen. Die völlig unverhältnismäßige Reaktion der regierenden Republikaner war, Pearson und Jones per Votum ihr Abgeordnetenmandat zu entziehen. Indem sie allerdings Johnson ihr Mandat ließen, zeigen sie nicht nur ihre unverhohlene Demokratiefeindlichkeit, sondern auch ihren offenen Rassismus: Die weiße Frau darf bleiben, die beiden schwarzen Männer fliegen raus.
Tennessee: Vergleich der drei Demokraten mit Kapitolstürmern
Dass Rassismus im Spiel war, ist übrigens nicht nur meine Meinung und die vieler anderer US-Amerikaner:innen, Gloria Johnson selbst ist davon überzeugt. „Es könnte mit unserer Hautfarbe zu tun haben“, sagte Johnson auf die Frage, weshalb ihr das Mandat nicht entzogen wurde. In einem Interview mit CNN sagte sie: „Nun, ich glaube, es ist ziemlich offensichtlich: Ich bin eine 60-jährige weiße Frau und sie sind zwei junge schwarze Männer.“
Die Republikaner-Fraktion berief sich bei ihrer Abstimmung auf die Verfassung von Tennessee. Dort steht in Artikel II Absatz 12 geschrieben, dass jede Parlamentskammer ihre Verfahrensregeln festlegen, „ihre Mitglieder für ordnungswidriges Verhalten bestrafen“ und mit einer Zustimmung von zwei Dritteln ein Mitglied hinauswerfen kann. Die Republikaner verfügen über eine Zweidrittelmehrheit, daher sind sie für Rauswürfe nicht auf Stimmen der Demokraten angewiesen.

Jones und Pearson haben nach Ansicht der Republikaner „Unordnung und Unehre über das Abgeordnetenhaus“ gebracht. Sie haben gegen Anstandsregeln verstoßen, was sie auch zugeben, und üblicherweise gibt es dafür Sanktionen wie eine Rüge oder auch den Entzug von Ausschussposten. Doch der Vorsitzende des Repräsentantenhauses in Tennessee verglich das Verhalten der drei Demokraten mit dem Sturm auf das Kapitol, „vielleicht schlimmer, je nachdem, wie man es betrachtet“.
Schusswaffen in den USA: Häufigste Todesursache bei jungen Menschen
Das sagt viel über das offenbar nicht vorhandene Demokratieverständnis dieses Rechtsextremen aus. Beim Kapitolsturm am 6. Januar 2021 brach ein von Donald Trump aufgehetzter Mob in das Parlament ein, weil die faschistisch gesinnten Aufständischen das Ergebnis der US-Wahl 2020 nicht akzeptierten und den abgewählten Präsidenten mittels eines Putsches an der Macht halten wollten. Dabei gab es Tote, Verletzte und anschließend über 1000 Festnahmen von Beteiligten.
Einige Trump-treue Politiker:innen der Republikaner im Kongress waren ebenfalls an dem versuchten Staatsstreich beteiligt und es gab auch den Versuch, sie unter der Berufung auf eine entsprechende Klausel der US-Verfassung loszuwerden, die mit der in der Verfassung von Tennessee übereinstimmt. Es waren linke Demokraten, die diesen Schritt forderten, doch er wurde als zu drastisch und zu wenig erfolgversprechend abgetan.
Der Grund für den Regelverstoß der drei Demokraten war hingegen kein Putschversuch, sondern der Versuch, die Stimmen der jungen Menschen, die sie als Abgeordnete vertreten, zu verstärken. Schüler:innen in Tennessee und im gesamten Land wollen nicht länger hinnehmen, dass sie jederzeit von Schusswaffen aus dem Leben gerissen werden können, die häufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen in den USA. „Die Schusswaffenlobby hat die Kontrolle über unsere Gesetzgebung“, sagte Justin Pearson zutreffenderweise nach seinem Rauswurf.
Jones und Pearson – bald wieder zurück im Parlament?
Die Aktion der Republikaner war nicht nur antidemokratisch, weil es mildere Mittel der Sanktionierung gab und sie somit unverhältnismäßig war. Teile der beiden größten Städte des Bundesstaates sind nun vorübergehend ohne parlamentarische Vertretung. Justin Jones vertrat rund 78.000 Menschen in der Hauptstadt Nashville und Justin Pearson etwa 70.000 Personen in seinem ehemaligen Wahlkreis in Tennessees zweitgrößter Stadt Memphis.
Weil sie gegen Anstandsregeln verstießen, als sie die Interessen junger Menschen lautstark vertraten, haben ein Haufen rechtsextremer Republikaner zwei gewählten Politikern ihr Abgeordnetenmandat entzogen. Justin Jones wies in seiner Verteidigungsrede auf den Widerspruch hin, dass Abgeordneten für weit gravierenderes, strafbares Fehlverhalten nicht das Mandat entzogen wurde: Kindesmissbrauch, häusliche Gewalt, laufende Ermittlungsverfahren auf Bundesebene, urinieren auf den Sitz eines Amtskollegen im Repräsentantenhaus.
Was passiert nun im Repräsentantenhaus von Tennessee und wie geht es für die beiden geschassten Ex-Abgeordneten weiter? Für ersteres ist ein gesetzliches Verfahren vorgesehen, für letzteres nicht. Möglicherweise haben die demokratiehassenden Republikaner einkalkuliert, dass die beiden jungen Männer ihre Mandate zurückerhalten können. Doch es ist fraglich, ob sie damit gerechnet haben, dass sie Justin Pearson und Justin Jones zu Märtyrern gemacht haben, zu politischen Helden, für die von Schusswaffengewalt, Studienschulden und einer sich zunehmend radikalisierenden Republikanischen Partei gebeutelte junge, progressive Generation in den USA.
Joe Biden lädt Justin Pearson und Justin Jones ins Weiße Haus ein
Laut der Verfassung von Tennessee muss eine außerordentliche Wahl für die beiden freien Sitze stattfinden, da der nächste reguläre Urnengang mit der US-Wahl im November 2024 noch länger als ein Jahr hin ist. Dazu können auch Jones und Pearson antreten. Bis zur Nachwahl kann die Legislative der entsprechenden Wahlkreise eine kommissarische Nachfolge ernennen. Im Fall von Justin Jones will der zuständige Stadtrat zeitnah darüber beraten. Schwieriger dürfte die Sache hingegen für Justin Pearson werden. Offenbar drohen die Republikaner im Parlament damit, die Finanzierung für Schulen und Infrastrukturprojekte in Memphis zu streichen, sollte der Stadtrat Pearson übergangsweise wiedereinsetzen.
Derweil sind die beiden unfreiwilligen Ex-Abgeordneten, zuvor außerhalb Tennessees weitgehend unbekannt, gefragte Interviewpartner in den US-Medien und hatten auch einen Videoanruf mit Biden, bei dem er sie ins Weiße Haus eingeladen hat. Das Land brauche „mehr Stimmen wie ihre“ im Kampf gegen Schusswaffengewalt. Allerdings nützen die beiden vor allem dem alten, unbeliebten Präsidenten, wenn er sich mit ihnen ablichten lassen kann. Wenn Jones und Pearson das politische Spiel beherrschen, sollten sie Biden nur mit einem Besuch beehren, wenn sie im Gegenzug etwas von ihm erhalten, beispielsweise Ressourcen für den anstehenden Wahlkampf oder Unterstützung für ein höheres politisches Amt in der Bundespolitik.
Kamala Harris in Tennessee: „Das ist keine Demokratie“
Vizepräsidentin Kamala Harris hat sich bereits am Freitag nach Nashville begeben, um dort an einer schwarzen Universität eine Rede zu halten. Zu dem Vorgehen der Republikaner in Tennessee sagte sie, „das ist keine Demokratie“ – und damit hat sie recht. Die Republikaner dort haben ein neues Rechtsextremismus-Level erreicht. Doch auch in einem anderen republikanisch dominierten Bundesstaat denken die Republikaner laut über einen derartigen Machtmissbrauch nach. In Wisconsin brachten sie die Amtsenthebung einer frisch gewählten, noch nicht vereidigten liberalen Richterin am lokalen Supreme Court ins Spiel – weil ihnen deren Rechtsauffassung wohl nicht passen wird.
Wer erfahren möchte, was Republikaner vorhaben, wenn sie über die nötige Macht verfügen, sollte insbesondere auf die von ihnen regierten Bundesstaaten blicken. Wo immer sie über die nötigen Mehrheiten in den Parlamenten verfügen, zeigen sie ihr wahres Gesicht: Eine hässliche, rechtsextreme, antidemokratische, rechtslibertäre, rassistische Fratze. (Johanna Soll)