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Wahlkampf in den USA: Der Trumpismus breitet sich ungehindert aus

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Von: Johanna Soll

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Ex-Footballspieler und Republikaner Herschel Walker kandidiert in Georgia für den US-Kongress – unterstützt von Donald Trump
Ex-Footballspieler und Republikaner Herschel Walker kandidiert in Georgia für den US-Kongress – unterstützt von Donald Trump © Michael Zarrilli/AFP

Im Wahlkampf für die Zwischenwahlen in den USA setzen viele Kandidat:innen nicht nur Republikaner auf die Trump-Methode.

Washington DC - Diese Woche wurde das politische Geschehen in den USA von den Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das Kapitol dominiert. Bei der erdrückenden Beweislage gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und seine Helfer:innen wegen des missglückten Putschversuches sollte dieser eigentlich keine Chance mehr auf das Weiße Haus, sondern allenfalls auf das Zuchthaus haben. Doch ganz gleich, was aus Donald Trump wird, der Trumpismus wird im Midterm-Wahlkampf von anderen Republikanern fortgeführt.

Der Washington Post zufolge haben sich bisher in den Midterm-Vorwahlen der Republikaner landesweit über hundert Kandidat:innen durchgesetzt, die Donald Trumps Lüge von der „gestohlenen Präsidentschaftswahl“ glauben oder dies zumindest vorgeben. Da die Mehrheit von ihnen in republikanisch dominierten Wahlkreisen auf Bundes- und Bundesstaatenebene antreten, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahlen im November gewinnen. Viele von ihnen werden dann Ämter innehaben, die es ihnen ermöglichen, in künftige Wahlen einzugreifen. Sie könnten dann etwa die Zertifizierung von Wahlergebnissen blockieren oder die Regeln für die Entsendung der Wahlleute ihres Bundesstaates bei der Präsidentschaftswahl 2024 ändern.

Heuchelei bei den republikanischen Senatskandidaten in Georgia und Pennsylvania

Auch in den beiden wichtigsten Senatswahlkämpfen in Pennsylvania und Georgia machten diese Woche in den USA insbesondere die beiden Trump-Kandidaten von sich reden. In Georgia fordert der Republikaner Herschel Walker (60) den demokratischen Amtsinhaber Raphael Warnock (52) heraus. Beide sind schwarz und könnten unterschiedlicher nicht sein. Raphael Warnock ist Pastor der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, in der seinerzeit Martin Luther King predigte. Er ist eloquent und für einen Demokraten vergleichsweise links. Herschel Walker ist ehemaliger American Footballspieler, hat einen ähnlich limitierten Wortschatz wie sein Unterstützer Donald Trump und ist wie dieser rechtsextrem.

Eine typische Masche rechter Schwarzer in Politik oder Medien ist es, rassistische Klischees vermeintlich zu bestätigen. Das tat auch Herschel Walker in einer beliebten rechten Online-Sendung, indem er behauptete, der Grund für Black-Lives-Matter-Proteste sei die Tatsache, dass viele afroamerikanische Kinder ohne Vater bei alleinerziehenden Müttern aufwüchsen. Es sei wichtig, dass sich schwarze Väter um ihre Kinder kümmerten.

Herschel Walker: Ex-Footballspieler, Rabenvater und Gewalttäter

Kurz darauf kam heraus, dass Herschel Walker neben einem Sohn, zu dem er öffentlich steht, noch drei weitere Kinder hat, zwei Söhne und eine Tochter, deren Existenz er der Öffentlichkeit vorenthalten hatte. Um diese Kinder kümmert er sich nicht und von einer der Mütter wurde bekannt, dass sie Walker in einem Rechtsstreit auf Anerkennung der Vaterschaft und Unterhalt verklagen musste. Auch unterlag Herschel Walker einmal vorübergehend einem Schusswaffenbesitzverbot, weil er seiner damaligen Ehefrau bei vorgehaltener Pistole gedroht hatte, „ihr das Gehirn rauszupusten“. Es war nicht der einzige Vorfall von häuslicher Gewalt gegen Ex-Partnerinnen.

Laut einem Therapeuten leide der ehemalige NFL Running Back an Chronischer Traumatischer Enzephalopathie (CTE), einer Gehirnerkrankung, oder unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Allerdings glaubt der Therapeut, der Herschel Walker entsprechend diagnostizierte, auch an „satanische Dämonen“. Herschel Walker steht symbolisch dafür, dass der republikanischen Wählerschaft derzeit kein:e Kandidat:in zu ungeeignet oder zu extrem sein kann. Aktuell liegen Herschel Walker und Raphael Warnock in Georgia in den Umfragen gleichauf bei 46 Prozent.

Mehmet Oz: Ex-TV-Arzt, Migrationsgegner und Heuchler

Unter den republikanischen Midterm-Kandidat:innen gibt es neben Herschel Walker noch weitere Heuchler. Darunter Mehmet Oz, der in Pennsylvania gegen den progressiven Demokraten John Fetterman antritt. Auf Twitter teilte Oz kürzlich mit, er wolle „illegale Einwanderung bekämpfen und beenden“. Seine Eltern stammen aus der Türkei und immigrierten noch vor seiner Geburt in die USA.

Dass Menschen mit legaler familiärer Einwanderungsgeschichte gegen illegale Migration ätzen, ist nicht neu, doch bei Mehmet Oz geht es noch weiter: Er ist Anteilseigner eines Holzfällerunternehmens, das von Familienmitgliedern seiner Ehefrau geführt wird. Diese Firma musste wegen der Beschäftigung tausender illegal Eingewanderter das höchste Bußgeld in der Geschichte der US-Immigrations- und Zollvollzugsbehörde ICE zahlen. Vor Gericht einigten sich das Unternehmen und die Behörde auf einen Betrag von 95 Millionen Dollar. Sein Kontrahent, der Demokrat John Fetterman, liegt derzeit mit 46 Prozent recht deutlich vor Mehmet Oz mit 37 Prozent.

Demokraten haben gefährliche Midterm-Strategie – und lernen nicht aus vergangenen Fehlern

Doch statt sich insgesamt stärker auf die eklatanten Schwächen der Republikaner zu konzentrieren, haben sich die Demokraten aktuell für zwei äußerst riskante Strategien für die Midterms entschieden: Sie setzen auf Donald Trumps Putschversuch vom 6. Januar 2021 und die Förderung besonders rechtsradikaler republikanischer Kandidat:innen in den Vorwahlen. Beide sind aus unterschiedlichen Gründen sehr kurzsichtig und letztere könnte für die Demokraten sogar gewaltig nach hinten losgehen, denn sie scheinen nicht aus ihren Fehlern in der Vergangenheit zu lernen.

Die Demokraten unterstützen also mitunter Kandidat:innen der republikanischen Partei vom äußersten rechten Rand, solche, die Donald Trump nacheifern und seine Lüge vom Wahlbetrug und andere Verschwörungsmythen propagieren. Das Kalkül der Demokraten dahinter ist, dass diese Personen selbst für die republikanische Wählerschaft zu extrem und somit unwählbar seien. Im Wahlkampf gegen eine:n Kandidat:in der Demokraten erhoffen sie sich dann leichtes Spiel gegen derartige Extremist:innen.

Diese Strategie hat jedoch bereits einmal zu einem verhängnisvollen Wahlausgang geführt: im Wahlkampf 2016 als die Demokratin Hillary Clinton gegen den angeblich chancenlosen Republikaner Donald Trump verlor. Auch bei dieser Wahl hatte das Clinton-Team auf diese Annahme gesetzt und um den ihrer Ansicht nach stärksten Gegner, den letztlich glücklosen Republikaner Jeb Bush, zu schwächen, den Plan ausgeheckt, den vermeintlichen TV-Clown Donald Trump zu pushen. Sie dachten, dieser wäre leichter zu schlagen – der Rest ist Geschichte.

Republikaner Ron Hanks: Schießt in Werbespot mit dem Sturmgewehr auf eine Wahlmaschine

Gleich in mehreren Bundesstaaten wenden die Demokraten im Vorfeld der Zwischenwahlen in den USA diese Taktik an und haben dafür bisher in Colorado, Illinois, Nevada and Pennsylvania einen zweistelligen Millionendollarbetrag ausgegeben. In einem Wahlwerbespot der Demokraten wird der republikanische Kandidat Ron Hanks als „zu konservativ für Colorado“ bezeichnet beziehungsweise angepriesen – eine maßlose Untertreibung. Der Lokalpolitiker nahm an Donald Trumps Kundgebung vor dem Sturm auf das Kapitol teil und behauptete anschließend, es sei eine Operation unter falscher Flagge der Black-Lives-Matter-Bewegung und der Antifa gewesen.

In seinem ersten Wahlwerbespot jagt Ron Hanks mit einem Sturmgewehr eine Wahlmaschine der Marke Dominion in die Luft, von denen Trump und seine fanatische Anhängerschaft behaupten, bei der US-Wahl 2020 manipuliert gewesen zu sein – was indes nicht der Fall war. Zwar tendiert die Wählerschaft in Colorado zu den Demokraten, doch man sollte nie die geradezu erstaunliche Fähigkeit demokratischer Politiker:innen unterschätzen, Wahlsiege an Republikaner zu verschenken. Sollte Ron Hanks die republikanischen Vorwahlen in Colorado gewinnen, träfe er im Hauptwahlkampf auf den amtierenden demokratischen Senator aus Colorado, die menschgewordene Schlaftablette Michael Bennet.

Auch mit ihrer zweiten, hochriskanten Midterm-Strategie laufen die Demokraten Gefahr, dass diese nicht verfängt. Es drängt sich der Verdacht auf, sie wollten die Enthüllungen zu Trumps Putschversuch auch als Entschuldigung dafür nutzen, keine Gesetze zu verabschieden, die die Lebenssituation der Amerikaner:innen verbessern, sondern nur mit der Angst vor Donald Trump Wahlkampf zu machen. Das Problem ist allerdings, dass dieser im November nicht zur Wahl steht, sondern derzeit vielmehr das Problem der hohen Inflationsrate und auch der hohen Benzinpreise fortbesteht. Momentan mögen der Enthüllungen zu den Hintergründen des Sturms auf das Kapitol in den Köpfen der Wähler:innen präsent sein, doch bis zu den Wahlen sind es noch knapp fünf Monate, in denen vieles passieren kann. (Johanna Soll)

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