US-Wahlkampf: Die Alten, die Jungen und die Ehrgeizigen

US-Präsident Joe Biden ist inzwischen unbeliebter als Donald Trump es je war. Insbesondere die junge demokratische Wählerschaft ist enttäuscht und unzufrieden.
Washington DC – Diesmal geht es um eine wichtige Wählergruppe der Demokraten, die entscheidend dazu beigetragen hat, dass Donald Trump jetzt der Ex-Präsident der USA ist und nicht mehr im Weißen Haus und der US-Politik sein Unwesen treibt. Es waren insbesondere junge demokratische Wähler:innen, die 2020 auch die zweite Wahlniederlage ihres Wunschkandidaten Bernie Sanders verwanden und Joe Biden zur Präsidentschaft verhalfen sowie zu Mehrheiten sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus. Wenn in den USA von jungen Wähler:innen die Rede ist, sind in der Regel die 18- bis 34-Jährigen gemeint.
Auch für die im November anstehenden Midterm-Wahlen sind die Demokraten auf die Unterstützung junger Wähler:innen angewiesen. Denn bleiben diese zu Hause oder geben nicht per Briefwahl ihre Stimme ab, werden die Demokraten gegen die Republikaner verlieren. Am Anfang seiner Amtszeit unterstützte rund 60 Prozent der jungen demokratischen Wählerschaft Joe Biden. Sicherlich haben die demokratische Partei und ihr Präsident ein Konzept, ihnen politisch zugeneigte junge Menschen zum Wählen zu animieren? Findige politische Berater:innen wissen längst, was die Jungen derzeit umtreibt, wie man sich ihre Stimmen sichern kann?
Nein und nein. Die Demokraten scheinen nicht nur ahnungslos zu sein, wie man die eigene politische Agenda gegen ein bis zwei renitente Senator:innen in den eigenen Reihen – Joe Manchin und Kyrsten Sinema – durchsetzt. Sie scheinen auch nicht die geringste Ahnung zu haben, was junge Wähler:innen wollen – und das rächt sich nun bitter. Einer aktuellen Umfrage der New York Times zufolge wünschen sich 94 Prozent der demokratischen Wähler:innen unter 30, dass Joe Biden 2024 nicht erneut als Präsidentschaftskandidat antritt. Bei der gesamten Demokraten-Wählerschaft sind es 64 Prozent und nur noch 33 Prozent sind mit Bidens Arbeit zufrieden.
Joe Biden: Als Präsident unbeliebter als Donald Trump
Damit ist der älteste US-Präsident unbeliebter als Donald Trump, der es kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt im Januar 2021 auf nur noch 34 Prozent Zustimmung brachte. Dieser Wert wurde wohlgemerkt erst gemessen, nachdem er einen wütenden, gewalttätigen Mob zur Erstürmung des Kapitols aufhetzte.
Wie wirkt sich Joe Bidens historisch niedriger Zustimmungswert auf den Midterm-Wahlkampf aus? Viele Kandidat:innen der Demokraten werden dadurch geschwächt und andere wiederum bestärkt die Schwäche des unbeliebten Präsidenten: Biden wird im Wahlkampf zum Klotz am Bein und jüngere, ambitionierte Kandidaten bringen sich bereits in Stellung für eine Präsidentschaftskandidatur, denn Joe Biden ist angezählt.
Bei den Zwischenwahlen im November werden alle 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus und 34 der 100 Senator:innen neu gewählt. Während die Senatswahlen stark von der Kandidatin oder dem Kandidaten, deren Charisma und politischer Agenda abhängen, spiegelt die Abgeordnetenwahl eher die Stimmung im Land wider. Und diese ist unter der demokratischen Wählerschaft denkbar schlecht, denn mehr als symbolische Gesten hat die Biden-Regierung bisher nicht zustande gebracht. Wahlversprechen, die Joe Biden gehalten hat, sind: mit Ketanji Brown Jackson die erste schwarze Frau als Richterin für den Supreme Court ernannt; die USA sind dem Pariser Klimaabkommen wieder beigetreten, ebenso wie der Weltgesundheitsorganisation.
Joe Biden hat fast keines seiner Wahlversprechen eingelöst
Die gebrochenen Versprechen, die Joe Biden insbesondere auch den jungen Wähler:innen machte, würden hingegen den Rahmen sprengen. Es waren sozialpolitische Reformen, die einen spürbaren Unterschied im Leben der Menschen in den USA gemacht hätten, doch Biden scheint nicht einmal ansatzweise gewillt, sich dafür einzusetzen. Senator Joe Manchin aus West Virginia will das Sozial- und Klimapaket „Build Back Better“ nicht – dann entfällt es eben.
Joe Biden unternimmt keinen ernsthaften Versuch, den konservativen Senator unter Druck zu setzen. Noch nie hat Biden öffentlich angesprochen, dass Joe Manchin höhere Spendenbeträge als jedes andere Senatsmitglied aus der Kohle-, Öl- und Gasindustrie erhält oder dass Manchin selbst mit dem Abbau von Kohle Millionen verdient. Linke US-Medien beklagen die Stille des Joe Biden, er verweigere den Diskurs, die offene politische Auseinandersetzung – den Kampf für seine Agenda.
Joe Bidens Alter ist bekannt – er ist mit 79 Jahren der älteste Präsident, den die USA jemals hatten und sein Alter macht sich bemerkbar. Das war bereits während des demokratischen Vorwahlkampfes 2019 und 2020 der Fall, nur galt es zum damaligen Zeitpunkt als äußerst pietätlos, dies ansprechen. Jetzt, da auch die US-Leitmedien sich diesbezüglich nicht länger zurückhalten, ist es ein öffentlich diskutierbares Thema. Laut der New York Times machen sich Mitarbeiter:innen Sorgen wegen Joe Bidens niedrigen Energielevels, weil er beim Gehen schlurft und sie befürchten, er könne stolpern – so wie über seine Worte, wenn er spricht.
Wählermeinung über Joe Biden: Alt und inkompetent
Die eingangs zitierte New York Times-Umfrage führt als wichtigsten Grund, weshalb Joe Biden 2024 nicht antreten sollte, sein Alter auf, dicht gefolgt von seiner beruflichen Leistung. Mit einem Präsidenten, der als zu alt und dazu noch als inkompetent gilt, ist kein Blumentopf zu gewinnen – und schon gar kein Wahlkampf. Daher distanzieren sich immer mehr Demokraten bei ihrem Werben um Wählerstimmen im November vom toxischen Biden. Einige haben begonnen, Joe Biden offen für alles zu kritisieren, von den hohen Benzinpreisen bis zum Verlust des Abtreibungsrechts.
Die demokratische Abgeordnete Kim Schrier vertritt im Kongress einen Vorort von Seattle im Bundesstaat Washington. Noch im April sprach sie von einer „Ehre“, Präsident Biden zu einer Rede über die Gesundheitsversorgung in ihrem Wahlbezirk willkommen zu heißen. Nun brüstet sie sich in einem TV-Wahlwerbespot damit, sich mit der Biden-Regierung wegen der Benzinpreise angelegt zu haben.
Präsidentschaftskandidatur 2024: Bekommt Joe Biden Konkurrenz?
Doch was für die einen zum Hindernis wird, könnte sich für andere als Chance entpuppen. In letzter Zeit wird in den US-Medien des Öfteren spekuliert, ob jemand es womöglich wagen könnte, Joe Biden als Präsidentschaftskandidat 2024 herauszufordern. Namen von Demokraten, die dabei immer wieder fallen, sind die von Verkehrsminister Pete Buttigieg und Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien. Zwar streiten die beiden derartige Ambitionen bisher ab, wie es sich gehört. Doch Pete Buttigieg ist momentan öfter als Joe Biden im US-TV zu sehen und Gavin Newsom nahm diese Woche einen Termin im Weißen Haus wahr – als sich Joe Biden gerade auf Auslandsreise in Israel befand. Allein, dass diese Spekulationen bestehen, zeigt, wie wackelig der Stuhl ist, auf dem Joe Biden derzeit sitzt.
Was also könnte Joe Biden tun, um junge Wähler:innen doch noch von sich zu überzeugen? Recht viel und dazu wäre er nicht einmal auf den Kongress angewiesen. Das US-Präsidentenamt ist mit großer Exekutivmacht ausgestattet und Biden könnte in den folgenden Bereichen, die der jungen Wählerschaft am Herzen liegen, Dekrete erlassen: Klimaschutz, Studiengebührenschulden, Marihuana-Entkriminalisierung, Abtreibungsrechte.
Sheldon Whitehouse, ein demokratischer Senator aus dem Bundesstaat Rhode Island, regte auf Twitter gleich zehn Exekutivmaßnahmen zum Klimaschutz an, die Joe Biden erlassen könnte. Ferner haben derzeit 43 Millionen Amerikaner:innen insgesamt 1,6 Billionen Dollar hochverzinsliche Studiengebührenschulden, mit einem Durchschnitt knapp 33.000 Dollar pro Kopf. Joe Biden könnte diese ganz oder teilweise erlassen, bevor das entsprechende Corona-bedingte Zahlungsmoratorium Ende August ausläuft, ein Datum, das viele fürchten – vor allem junge Menschen.
Im Wahlkampf noch hatte Joe Biden den Erlass von mindestens 10.000 Dollar an Studiengebührenschulden pro Schuldner:in versprochen. Er könnte außerdem per Dekret Marihuana von der Liste der gefährlichen Drogen entfernen, um so den Erwerb und den Konsum ohne Strafverfolgung zu erleichtern. Ferner sollte er sich endlich vehement für einen Maximalerhalt von Abtreibungsrechten einsetzen. Das bundesweite Recht auf Abtreibung hatte der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, kürzlich aufgehoben, sodass nun die Bundesstaaten das Recht auf Abtreibung regeln und es teilweise bis zum Komplettverbot einschränken. Joe Bidens bisherigen Maßnahmen sind vollkommen unzureichend und schöpfen nicht annähernd den Rahmen der Befugnisse aus, die ihm als Präsidenten zustehen.
Doch bisher zeigt sich Biden von den Forderungen linker Parteikolleg:innen unbeeindruckt und bleibt bei seinem konservativen Nichtstuerkurs. Seine vergangenen politischen Positionen lassen darauf schließen, dass er mit bald 80 Jahren nicht plötzlich zu einem Progressiven wird, der die Belange der jungen Generation ernst nimmt – im Gegenteil. In einem Interview 2018 sagte Biden: „Die heutige jüngere Generation erzählt mir, wie schwer sie es hätten. Verschont mich! Ich habe dafür kein Verständnis. Verschont mich!“ Diese Aussage zeigt, dass Joe Biden junge Menschen nicht nur nicht versteht, er ist ihnen gegenüber herablassend. Dennoch will er, dass sie erneut in großer Zahl in den Midterm-Wahlen für die Demokraten stimmen. Es ist äußerst fraglich, ob sie dies tun werden. (Johanna Soll)