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Rechte Welle in den USA: Wir müssen uns vorbereiten

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Von: Paul Mason

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Manche tragen ihre „kulturellen Werte“ offen zur Schau – hier bei einer Trump-Rally 2022 in Ohio.
Manche tragen ihre „kulturellen Werte“ offen zur Schau – hier bei einer Trump-Rally 2022 in Ohio. © Imago

Die aktuelle Welle rechter Agitation in den USA wird nicht von materieller Unsicherheit angetrieben. Es handelt sich um einen Kulturkampf – und der wird sich noch ausweiten. Die Kolumne von Paul Mason.

Frankfurt - Die US-amerikanische konservative Rechte zerpflückt gerade Faden für Faden das Gewebe der US-Verfassung. Als Donald Trump angeklagt wurde, Geschäftsunterlagen gefälscht zu haben – um einer Pornodarstellerin Schweigegeld zu zahlen –, erklärte der einflussreiche Fox-News-Moderator Tucker Carlson: „Die Rechtsstaatlichkeit ist heute Abend außer Kraft gesetzt“. Während zahlreiche andere Fox-Persönlichkeiten auf dem Bildschirm vor aufrührerischen Konsequenzen warnten, versprach Floridas republikanischer Gouverneur Ron DeSantis, er werde sich jedem Versuch der Behörden des Staates New York widersetzen, Trump auszuliefern.

In Tennessee wurden zwei demokratische Parlamentarier, die sich nach einer Massenschießerei in einer Schule den Protesten für das Verbot von Sturmgewehren angeschlossen hatten, aus der Volksvertretung ausgeschlossen (inzwischen wurden sie wieder eingesetzt, d. Red.). In Texas hat unterdessen ein von Trump ernannter ultrakonservativer Richter entschieden, dass das gesamte US-Gesundheitssystem die Abgabe einer Pille stoppen muss, die einen medizinischen Schwangerschaftsabbruch ermöglicht (allerdings gab es danach eine gegenläufige Entscheidung und jetzt muss der Supreme Court entscheiden, d. Red.).

Republikanische Rechte beruft sich auf die „Rechte der Bundesstaaten“,

In jedem dieser Fälle beruft sich die republikanische Rechte auf die „Rechte der Bundesstaaten“, um die Autorität der Bundesregierung anzufechten. Kommt Ihnen das bekannt vor? Es ist genau das Verhaltensmuster, das 1861 zum US-amerikanischen Bürgerkrieg geführt hat. Damals wie heute war die US-Bevölkerung, wie der Historiker Allan Nevins es ausdrückte, „zwei Völker“. Ihre kulturellen Werte, ihre Lebenserfahrungen und ihre instinktive Interpretation aller Nachrichtenereignisse wichen radikal voneinander ab.

Jede Vorstellung, dass diese neue Welle rechtspopulistischer Agitation von materieller Unsicherheit angetrieben wird, sollte also verworfen werden. Es handelt sich um einen reinen Kulturkampf, und er wird sich noch ausweiten.

Die meisten Vergleiche zwischen der Gegenwart und dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 sind nicht hilfreich, aber sie ermöglichen es uns, das Ausmaß der derzeitigen Dysfunktion in den Vereinigten Staaten zu verstehen. Die acht Jahre vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs waren geprägt von Kämpfen um den Status von Kansas – einem Bundesstaat, der von den sich bekriegenden Befürworter:innen und Gegner:innen der Sklaverei in einen „Sandkasten“ verwandelt wurde, um zu üben, was kommen würde. Heute gibt es zwar fast jeden Tag Massenerschießungen, die durch eine Mischung aus Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Geisteskrankheit ausgelöst werden, aber es gibt kein Kansas.

Für diejenigen, die damals ihren Reichtum durch den Besitz von Sklaven und den Export von Baumwolle oder Tabak erwirtschaftet hatten, schien das Aufkommen einer auf Fabrikproduktion, Lohnarbeit und Industrialisierung ausgerichteten Bourgeoisie im Norden eine existenzielle wirtschaftliche Bedrohung darzustellen. Doch niemand im liberalen Lager der USA bedroht heute die Reichtumsquellen der Elite in den Bundesstaaten, die republikanisch wählen.

Und während die konföderierten Truppen Gräueltaten an Schwarzen verübten, waren die Beziehungen zwischen der Offiziersklasse beider Seiten oft zivil, insbesondere zu Beginn des Konflikts. Es gab plebejischen Hass und Eifer, aber die Eliten beider Seiten sahen es als ihre Pflicht an, diesen im Zaum zu halten. Heute ist diese Zurückhaltung nicht mehr gegeben.

Europa muss sich vorbereiten

Während Europa diese instabile Entwicklung von der anderen Seite des Atlantiks aus beobachtet, können wir nur wenig tun, um unseren politischen Verbündeten zu helfen – außer maximalen Druck auf soziale Mediengiganten wie Twitter auszuüben, die entschlossen scheinen, die Flammen anzuheizen.

Und wir können uns vorbereiten. Vorbereiten auf einen Moment, in dem ein isolationistischer Präsident die US-Militärs abziehen könnte, anstatt sie nach Europa zu schicken, wie es Joe Biden während des Ukraine-Kriegs getan hat. Vorbereiten auf den Moment, in dem die EU selbst als echte geopolitische Macht auf die Bühne treten muss. Vor allem können wir unsere eigenen Demokratien stärken, indem wir durch jeden Akt der Staatsbürgerschaft und der Partizipation zeigen, dass in Demokratien die großen kulturellen Unterschiede überwunden werden können. (Paul Mason)

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