Gute Geflüchtete, schlechte Geflüchtete: Menschen nicht gegeneinander ausspielen
So richtig es ist, aus der Ukraine flüchtende Menschen aufzunehmen, so sehr muss über Ungleichheiten gesprochen werden. Die Kolumne.
Dieser Krieg verändert etwas in der Wahrnehmung, rüttelt an den Privilegien in Mitteleuropa. Wir sollten die entstehenden Ungleichheitsverhältnisse besprechen – parallel zur Not der Menschen im Kriegsgebiet. Denn während wir zurecht die Aufmerksamkeit auf die Ukraine richten, wird ein Verständnis von Differenz und Diskriminierung in unserer Gesellschaft noch wichtiger werden. Es gilt den Stigmatisierungen etwas entgegenzusetzen, die bereits geschehen. Es passiert alles gleichzeitig.
Menschen werden bereits kategorisiert, werden in all der Not, die Fliehenden in echte und unechte, gute, schlechte oder nützlich unterteilt. Wie es etwa Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey tat, als sie den Arbeitswillen ukrainischer Geflüchteter lobte und implizierte, dass andere Geflüchtete zunächst nach Sozialleistungen fragten.
Ukraine-Krieg: Was, wenn der Krieg zur Routine wird?
Zu bewerten stärkt den Effekt, Menschen gegeneinander auszuspielen. Dabei gibt es auch „den Russen“ oder „die Ukrainerin“ nicht, wenn wir an ukrainischen Jüdinnen und Juden, muslimische Krimtataren, ukrainische Romnja, die LGBTQI+ Community denken. Oder an das rechtsnationalistisch-ukrainische Asow-Regiment, deren Unterstützung im Ukraine-Krieg nun diskutiert wird und ihre Verbindungen zur extrem Rechten in Deutschland.
Dazu die Sorge, dass die Unterstützung abebbt wie 2015, falls der Krieg zur Routine wird. Noch lässt sich die Solidarität mit den Ankommenden hoffnungsvoll beobachten, während gleichzeitig der Rassismus nachwirkt, dem Schwarze Menschen zu Beginn an den Grenzen ausgesetzt waren. Wen aber macht das Schicksal derer, die keine Lobby haben in ein paar Wochen betroffen? Und wer bekommt hierzulande die Zugänge?
Die Autorin
Hadija Haruna-Oelker ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin.
Die Lebenslagen der Ankommenden sind mehrschichtig, wie bereits 2015. Erinnerungen an die Bedingungen von damals werden wach. Problematische Strukturen, die viele in Warteposition zwangen – zum Teil bis heute. Während es jetzt die EU-Richtlinie 2001/55/EG von 2001 den Schutzsuchenden ermöglicht, ohne bürokratische Hürden Aufenthaltstitel, Arbeits- und Schulerlaubnisse sowie soziale Absicherung zu erhalten.
Das ist gut und richtig, aber es macht etwas mit den Menschen, die diese Unterschiede erleben. Wir sollten deshalb über eine Wahrnehmung von Doppelstandards sprechen, weil da Schmerz ist, der vor allem die Menschen in den Lagern betrifft. Es ist wie 2015, als die kurzzeitige Willkommenskultur, die einstigen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in ihren Erinnerungen an ihr Ankommen schmerzte.
Ukraine-Krieg: Vergangene Fehler nicht wiederholen
Wir sollten nachdenken darüber, was passiert, wenn Konkurrenz geschürt wird – angefeuert durch öffentliche Diskurse oder die Verteilung von Ressourcen wie Wohnraum, der noch knapper wird. Aus privilegierter Position einer „geforderten Mitte“ heißt es jetzt, nachempfinden, dass das Gefühl der Ungleichbehandlung kein Schönes für niemanden ist und dass es konkreten Handlungsbedarf gibt.

Diesen Krieg mehrperspektivisch, also intersektional zu denken heißt, sich mit den Menschen in ihrer komplexen Lagen zu beschäftigen und zu fragen, wie eine Struktur geschaffen wird, in der alle inkludiert werden. Vergangene Fehler nicht zu wiederholen, wird die Herausforderung sein, weil unsere gesellschaftlichen Routinen zu wenig offen und sich das Verständnis von Integration in der Realität als nicht ergiebig erwiesen hat.
Es hieße die Erfahrungen der einst eingewanderten und geflüchteten Menschen und ihren Nachkommen mitzudenken. Sie machen uns zu der Migrationsgesellschaft, die wir sind. Unser plurales wir braucht Übung, unsere Differenz im Guten, dem Schönen zu leben. Neben offenen Herzen braucht es ehrliche Auseinandersetzungen, was den Krieg nicht stoppt, aber die Schutzsuchenden unterstützt, in dieser Gesellschaft besser anzukommen. (Hadija Haruna-Oelker)