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Zornige Kritik: Herr Melnyk, wir müssen streiten!

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Von: Richard Meng

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Umstrittener Diplomat: der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk.
Umstrittener Diplomat: der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. © Christophe Gateau/dpa

Die Ampelkoalition will der Ukraine helfen, darf das eigene Land aber nicht gefährden. Die Kolumne – heute ein Brief an den ukrainischen Botschafter.

Berlin – Werter Herr Botschafter Melnyk, sind Sie eigentlich wirklich zufrieden mit sich als Chefankläger unter Partnern? Wahrscheinlich werden Sie schon diese Fragestellung ablehnen. Sie werden sagen, dass Sie das ukrainische Volk im Ukraine-Konflikt vertreten und diese Perspektive uns Deutschen mit allen Mitteln nähergebracht werden müsse, die wir (bzw. die Bösen unter uns) immer schon und immer noch so viel zu viel Verständnis für Russland hätten.

Ukraine-Konflikt: Botschafter Andrij Melnyk als „Anspitzer“ der deutschen Politik

Den Talkshows konnte nichts Besseres passieren, als Sie mit dieser Grundlinie ständig der deutschen Politik gegenüberzusetzen. Die steckt ja – Sie werden auch diese Begrifflichkeit nicht akzeptieren – in einem objektiven Dilemma, in dem sie sich zunehmend gegenseitig zerlegt, mit Ihnen als Anspitzer mittendrin. Sie will solidarisch sein mit der Ukraine, aber das eigene Land nicht gefährden. Sie sieht die Wiederkehr der Bedeutung von Waffen, aber sie will nicht die Fähigkeit verlieren, Brücken zu bauen.

Aber sie muss bitte immer noch selbst entscheiden, was Deutschlands historische Lehren sind. Nun werden Sie sagen, das sei falsch gedacht. Weil auch die deutsche Freiheit im Donbass verteidigt werde und das näher liege als der Hindukusch. Was einerseits logisch, aber andererseits, Verzeihung, zu einfach gedacht ist in Kombination mit so viel pressender Absolutheit, die nur das Entweder-oder akzeptiert.

NameAndrij Melnyk
Geboren7. September 1975 (Alter 46 Jahre), Lwiw, Ukraine
AusbildungNationale Iwan-Franko-Universität Lwiw
AmtBotschafter der Ukraine in Deutschland seit 2014

Ukraine-Krieg: Fühlen sich die Deutschen langsam beleidigt?

Vielleicht wäre auch der Inhalt des Freiheitsbegriffs eine Diskussion wert. Die unsägliche Steinmeier-Ausladung vor Ostern jedenfalls war ein Riesenfehler, doch der zeigte etwas. Inzwischen legen Sie wieder ständig nach, sozusagen chronisch unerhört. Ein geflüchteter Ukrainer warf dieser Tage besorgt die Frage auf, ob die Deutschen sich langsam beleidigt fühlen könnten. Nun ja, irritiert ist das offizielle Wort. Vielleicht werden Sie denken: geflüchteter Ukrainer? Der sollte besser sein Land verteidigen. Wieder unterscheiden wir uns dann.

Es ist nicht leicht, das so aufzuschreiben. Der Krieg und die vielen Verbrechen im Namen einer ins Faschistische abgleitenden russischen Gesellschaft rauben die Sprache, immer wieder. Über Ton und Inhalt Ihrer Rolle müssen wir dennoch streiten. Gerade weil, die Wahrheit ist oft paradox, die Ukraine just seit diesem Ukraine-Krieg endlich in der Emotionswelt des Westens akzeptiert wird, als hoffentlich dauerhafter Teil des demokratischen Europa.

Ukraine-Konflikt: „Neues Fremdheitsgefühl“ gegenüber Melnyk

Nun werden Sie fragen, was Ihnen solch zornige Kritik bedeuten soll, während in Ihrem Land unzählige Menschen ihr Leben und Tausende ihre Heimat verlieren. Sie denken, dass viele der satten Mitteleuropäer moralisch versagen. Es ist die Linie Ihres Präsidenten mit seinen Ansprachen vor Parlamenten, die sich letztlich an die westlichen Öffentlichkeiten richten. So wie Sie selbst sehr kalkuliert jenen wichtigen Reflex im freien Journalismus anzustacheln versuchen, der sich stets zuerst an der Seite der Benachteiligten sieht.

Die schrankenlos fordernde Art hat zweierlei Wirkung. Sie werden bewundert. Ihnen zustimmen zu können, fühlt sich an wie ein moralischer Rettungsring. Aber es verstärkt sich auch ein neues Fremdheitsgefühl, trotz all der neuen Nähe. Schrill macht vorsichtig. Sie tragen von Talkshow zu Talkshow nicht nur zu Solidaritätsreflexen bei.

Wir wissen alle nicht, wie der Krieg weitergehen wird. Es sieht nicht wirklich gut aus. Aber wir dürfen einander nicht die Lauterkeit bestreiten. Wir müssen den Eindruck meiden, es gehe letztlich nur um das Ausspielen einer jeweils eigenen nationalen Denkwelt. Sonst nämlich ist es gar nicht ein Spiegel, den Sie uns da vorhalten. Nehmen Sie dies bitte als Kompliment für Ihre Hartnäckigkeit: Es wäre schade.

Richard Meng ist freier Autor und Kuratoriumsvorsitzender der Karl-Gerold-Stiftung. 

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