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Song to Bonnie

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Von: Harry Nutt

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Der Singer-Songwriter Woody Guthrie (1912-1967) war mit Bob Dylan befreundet. (Archivbild 1943)
Der Singer-Songwriter Woody Guthrie (1912-1967) war mit Bob Dylan befreundet. (Archivbild 1943) © UnitedArchivesWHA/Imago

Jahanara Romney bezeugt einen mythischen Moment der Popmusik – und verweist auf ein dunkles Kapitel der Psychiatrie. Die Kolumne.

Die Begegnung zwischen Woody Guthrie und Bob Dylan gehört zu den Mythen des Pop. Eine Zeitzeugin spricht nicht nur über das Aufeinandertreffen der Folk-Heroen, sondern auch über ein düsteres Kapitel Psychiatriegeschichte.

Es ist ein leicht auf Youtube zugängliches, gleichwohl kostbares Stück Pop-Archäologie. Vor drei Jahren hat Jahanara Romney es der Öffentlichkeit spendiert: ein Oral-History-Interview zur Geschichte der Greystone-Klinik in New Jersey, des Greystone Park Psychiatric Hospital. Unter ihrem Mädchennamen Bonnie Beecher war Jahanara Romney eine bekannte Schauspielerin.

In den 1960er Jahren wirkte sie in einer Reihe von Filmen und Serien mit, unter anderem in „Rauchende Colts“, „Auf der Flucht“ und in „Raumschiff Enterprise“. Gesungen hat sie auch, so findet sich im Netz das Lied „Come Wander With Me“ – Bonnie Beecher im Judy-Garland-Style.

Einen ganz besonderen Tag aber verbrachte sie Ende der 1950er Jahre im Greystone-Hospital. Der junge Musiker Bob Dylan hatte sie gebeten, mit ihm dessen großes Vorbild, den Folk-Sänger Woody Guthrie zu besuchen. Bonnie und Bob waren zu der Zeit befreundet, sie kannten einander seit Highschool-Tagen, anschließend hatten sie in Minneapolis studiert, sie Theater, er Musik. Alle Wege des Ruhms führten von Minneapolis aus nach New York, wo sie sich später im legendären Greenwich Village wiedertrafen.

Bobbie habe sie nach Greystone mitgenommen, mutmaßt Jahanara Romney im Interview, weil einige Leute aus Minnesota daran zweifelten, dass Dylan, wie er behauptete, sein Idol Woody Guthrie regelmäßig im Krankenhaus besuche. Ein alter Verdacht: Der größte Songschreiber aller Zeiten hat in jungen Jahren einiges in die eigene Legendenbildung investiert. Dylans „Song To Woody“ war demnach eine Reverenz, die vor allem ihm selbst diente.

Was Jahanara Romney in diesem kurzen Gespräch indes bezeugt, ist weit mehr als die Bekräftigung von Respekt und einer ehrlichen Freundschaft zwischen zwei Musikern. Ganz nebenbei gewährt die heute 80-jährige Romney Einblicke in die abweisende Strenge einer psychiatrischen Klinik, wo Woody Guthrie zunächst irrtümlich mit Verdacht auf Schizophrenie behandelt worden war.

Jahanara Romney beschreibt das einer Festung ähnliche Gebäude als Gefängnis mit schwerfällig und laut schließenden Türen, eine unheimliche Szenerie. Tatsächlich litt Woody Guthrie an der Krankheit Chorea Huntington, in deren Verlauf er weitgehend die Fähigkeit über die Koordination seines Körpers verloren hatte. Langsam und stetig über Jahre, aber doch nicht sofort.

So berichtet Jahanara Romney, wie Guthrie darum bat, man möge ihm seine Gitarre bringen, die er kaum mehr spielen konnte. „Oh, Woody“, habe daraufhin die Krankenschwester in kindlichem Singsang gesagt: „Du spielst Musik?“

Offensichtlich, so Romney, habe man nicht gewusst, mit welch berühmtem Patienten man es zu tun hatte. An das Lied erinnert sich Romney genau, es war „Hard Travellin’“ – sie summt es vor sich hin: „I’ve been doing some hard travellin’ / I thought you know.“ Sie habe innerlich gebebt in dem Bewusstsein, einen herausragenden musikgeschichtlichen Moment zu erleben.

Jahanara Romney berichtet dies alles in dem Bemühen um genaue Erinnerung. Aber es geht gar nicht um Dylan. In reizend-kluger Aufrichtigkeit bezeugt sie einen mythischen Moment der Popmusik – und verweist auf ein dunkles Kapitel der Psychiatriegeschichte.

Harry Nutt ist Autor.

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