Frisierte Meinungen für den Machterhalt

Gegen populistische Blender helfen Faktencheck, journalistische Recherchen und mutige Whistleblower. Die Kolumne.
Man stelle sich vor, es gibt Wahlen und niemand hat einen blassen Schimmer, wie sie ausgehen. Alle würden schön für sich behalten, für wen er oder sie stimme. Das Ergebnis wäre so überraschend wie eine Wundertüte. Auch für uns könnte da was drin sein, dachten ich und meine beste Freundin, mit der ich die Schulbank in der Sexta drückte, als wir bei der ersten Klassensprecherwahl uns gegenseitig auf den Stimmzettel schrieben. Umso peinlicher, dass am Ende hinter unseren Namen auf der Schultafel jeweils ein einzelner Strich stand.
Wir waren zehnjährige Landeier mit nur vager Vorstellung von Demokratie. Aber die Lektion, dass Mehrheiten nicht vom Himmel fallen, hatten wir verstanden. Popularitätswerte entschieden sich eher auf dem Pausenhof.
Mit Meinungsforschung lässt sich Meinung machen
In der politischen Willensbildung, daran haben wir uns längst gewöhnt, übernimmt die Demoskopie das Ranking. Dank ihr erfahren wir schon lange vor der Auszählung am Wahlabend, welche Partei im Aufwärts- oder Abwärtstrend liegt, wer die größte Publikumsgunst genießt, beziehungsweise für wen und welche Koalitionen es knapp werden könnte.
Wieweit sich das auf das Wahlverhalten auswirkt, lässt sich wiederum empirisch kaum nachweisen. Aber dass sich mit Meinungsforschung auch Meinung machen lässt, wissen wir nicht erst seit dem jüngst abgedankten österreichischen Kanzler Sebastian Kurz. Der Karriereknick scheint freilich für ihn verschmerzbar, Comeback nicht ausgeschlossen.
Korruptionsaffäre in Österreich
„System Sebastian Kurz“ ist perfide, überdreht und gefährlich erfolgreich
Zumal der geschniegelte Kurz als vorerst unangefochtener ÖVP-Chef verbleibt und dazu in die Obmannrolle der Fraktion geschlüpft ist, was ihm, wie zu hören ist, parlamentarische Immunität garantiert. Letzteres könnte sich für ihn noch als nützlich erweisen, sollte die vorläufig festgenommene Wiener Meinungsforscherin auspacken, die den „Türkisen“ auf Bestellung geschönte Umfragen geliefert haben soll.
Die „Inseratenaffäre“, made in Austria, wird auch in Israel höchst aufmerksam verfolgt. Nicht zuletzt, weil der frühere Premier Benjamin („Bibi“) Netanjahu in vergleichbarer Angelegenheit derzeit vor Gericht steht, unter anderem wegen des Vorwurfs, sich wohlfeile Berichterstattung erkauft zu haben. Die Vergütung erfolgte laut Anklage über Regularien zur Begünstigung eines Medienkonzerns, zu dem das Onlineportal „Walla“ gehört.
Was das für die Redaktion hieß, hat die bisherige Beweisaufnahme anschaulich vermittelt. Bereits in seinen ersten Wochen als „Walla“-Chefredakteur, so einer der Belastungszeugen, habe ihn der Herausgeber mit Aufforderungen überschüttet, möglichst viele positive, bildreiche Artikel über die Premierfamilie zu bringen und negative Aspekte zu ignorieren. Es stünden Unsummen auf dem Spiel.
Ob Kurz oder „Bibi“ – in beiden Fällen handelt es sich um den Verdacht, mit frisierten Meinungen den eigenen Popularitätswert zwecks Machterhalt zu steigern. Vermutlich geschieht solcher Schwindel in den Regierungszentralen dieser Welt weit öfter, als dass er auffliegt.
Das Medienzeitalter bietet populistischen Blendern, die zu Fake News neigen, um sich in günstiges Licht zu rücken, ja ungeahnte Möglichkeiten. Aber es erleichtert auch ihre Entlarvung mittels Faktencheck, journalistischen Recherchen und mutigen Whistleblowern. Vorausgesetzt, ein so altmodischer Begriff wie Berufsethos bleibt up to date. (Inge Günther)