Deutsches Fernsehen: Spaß muss sein, aber doch nicht so!

Im Fernsehen ist das Rückgrat der deutschen Oberflächlichkeit zu sehen. Diese Leute machen Sendungen so harmlos, dass es schon wieder gefährlich wird. Die Kolumne.
Frankfurt am Main - Eigentlich sehe ich ja kaum fern. Gelegentlich die Nachrichten oder ein politisches Magazin, manchmal einen der guten Filme, die sie nur nachts zeigen, und letztens nach langer Zeit mal wieder ein Fußballspiel, nämlich das der Frankfurter Eintracht in Barcelona. Es wurde im richtigen Fernsehen gesendet, also dem, das auch ich empfangen kann.
Sie merken, ich beschränke mich bei meinem Konsum auf das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen. Außer bei besagtem Spiel, doch da regte ich mich schon wieder darüber auf, dass nach dem Schlusspfiff nicht jubelnde Fans und Spieler zu sehen waren, sondern eine bescheuerte Reklame. Im Prinzip ist mir das aber auch egal. Denn, wie gesagt, ich sehe kaum fern.
Ross Anthony: Impertinent gut gelaunten Hupfdohle ohne Eigenschaften
Woher, zum Donner im Himmel, weiß ich dann aber, wer Ross Anthony ist? Weil offensichtlich selbst ich mit meinem kümmerlichen Televisionsverhalten dieser immerzu impertinent gut gelaunten Hupfdohle ohne Eigenschaften nicht entgehen kann. Der Mann scheint mit allen Sendern einen Vertrag auf Lebenszeit abgeschlossen zu haben, gelegentlich tänzelt er sogar noch über den Bildschirm, wenn der Apparat schon ausgeschaltet ist. Manchmal buhlt er sogar gleichzeitig auf mehreren Programmplätzen gegen sich selbst um Einschaltquoten.

Das wäre nicht so tragisch, aber er führt Böses im Schilde – die Verbreitung schlechter guter Laune. Schlimm genug, doch es kommt noch schlimmer. Er ist nämlich nicht allein. Zusammen mit Menschen wie Andrea Kiewel, Giovanni Zarrella, Oliver Pocher, Florian Silbereisen oder ARD-Frühmoderator Sven „Morgengrauen“ Lorig (um nur einige zu nennen) bildet er das Rückgrat der deutschen Oberflächlichkeit. Diese Leute machen eine Art von Fernsehen, die so harmlos ist, dass sie schon wieder gefährlich wird. Sie sehen, obwohl ich eigentlich kaum fernsehe, weiß ich ziemlich gut Bescheid. Das ist leider wahr.
Bald ist wieder Schluss mit lustig
„Ein bisschen Spaß muss sein“, werden Sie nun vielleicht denken, gerade in der jetzigen trüben Zeit. Mag sein. Gewiss sogar. Aber doch nicht so! Doch nicht in Form dieser aufgesetzten Heiterkeit, die vor künstlichen Inhaltsstoffen nur so strotzt – und jeden auch nur einigermaßen klar denkenden Menschen erst recht ins tiefe Tal der Traurigkeit treibt. Denn sie gaukelt uns eine harmonieselige Scheinrealität vor, die Leuten wie mir nicht nur wehtut, sondern in manchen Punkten sogar gefährlich ist.
So wird Ross Anthony nicht müde, seinem Millionenpublikum zu suggerieren, die Corona-Pandemie sei vorüber. „Wie schön, dass wir das wieder dürfen“, was meint: haufenweise in Hallen sitzen, mittlerweile sogar ohne Masken. Mit Verlaub, Herr Anthony, nichts ist vorbei! Das will im Moment zwar niemand hören, doch es besteht kein Hauch von Grund für eine Entwarnung – erst recht nicht, solange die Impfquote in Deutschland so erbärmlich niedrig ist. Dank unseres gemeinsamen Europas profitieren wir im Moment lediglich von der Vernunft der Menschen in unseren Nachbarländern, die eine großflächige Verbreitung des Virus hemmt.
Das aber kann sich schlagartig ändern. Spätestens im Herbst, wenn die Immunisierungen nachlassen, die Bereitschaft zum Boostern weiter sinkt und wir uns voller Wonne und ohne Masken in geschlossenen Räumen ballen. Dann ist wieder Schluss mit lustig.